Compliance in der öffentlichen Verwaltung ist kein neues Thema, gewinnt jedoch zunehmend an Bedeutung. Die gesetzlichen Anforderungen, Erwartungen und gesellschaftlichen Entwicklungen machen es für die öffentliche Hand unumgänglich, sich intensiv mit Compliance auseinanderzusetzen. Dennoch stellt sich in der Praxis oft die Frage: Ist Compliance eine zwingende Pflicht oder eine zusätzliche Last, die zu mehr Bürokratie führt?
1. Einleitung
Dieser Beitrag beleuchtet die rechtlichen Grundlagen, Herausforderungen und die wichtigsten Punkte für eine effektive Compliance der öffentlichen Hand, sei es eine Gemeinde, eine Kantons- oder Bundesbehörde, ein öffentliches Spital oder eine sonstige öffentlich-rechtliche Unternehmung, wie z.B. Verkehrsbetriebe.
2. Rechtliche Grundlagen
Die Pflicht zur Compliance in der öffentlichen Verwaltung ergibt sich nicht nur aus rechtlichen Vorschriften, sondern auch aus dem Bedürfnis nach Transparenz, Integrität und Vertrauen. Einige der wichtigsten gesetzlichen Grundlagen in der Schweiz sind:
Diese Gesetze zeigen, dass Compliance in der öffentlichen Hand in der Schweiz keineswegs eine freiwillige Angelegenheit ist. Dennoch bleibt die Frage, wie diese und andere relevante Vorschriften in der Praxis umgesetzt werden und welche Herausforderungen sich ergeben.
3. Herausforderungen in der Umsetzung
Die wesentlichsten Herausforderungen sind wohl die Komplexität der Vorschriften, der Verwaltungsaufwand, der Widerstand gegen Veränderungen, fehlende oder ungenügende Kontrollmechanismen, fehlendes Gesamtkonzept, mangelnde Sensibilisierung, Interessenkonflikte und mangelnde Transparenz.
Die Vielzahl an Gesetzen und Richtlinien erfordert ein tiefgehendes Verständnis der rechtlichen Anforderungen. Verwaltungsmitarbeitende müssen kontinuierlich geschult und informiert werden, um sicherzustellen, dass alle relevanten Vorschriften eingehalten werden. Fehlinterpretationen können zu schweren Konsequenzen führen.
Die Implementierung und Überwachung von Compliance-Massnahmen erfordert erhebliche personelle und finanzielle Ressourcen. Besonders kleinere Gemeinden oder Verwaltungseinheiten haben oft nicht die nötige Infrastruktur oder Fachkenntnisse, um Compliance effizient umzusetzen.
Viele Verwaltungsmitarbeitende und insbesondere Vorgesetzte betrachten Compliance als zusätzliche bürokratische Hürde, die ihre tägliche Arbeit verlangsamt und erschwert. Widerstand kann entstehen, wenn Compliance-Massnahmen nicht klar kommuniziert werden oder als rein regulatorische Auflagen wahrgenommen werden, anstatt als Massnahmen zur Verbesserung der Verwaltung und zum Schutz ihres wichtigsten Gutes, des Vertrauens der Gesellschaft.
Häufig fehlt es an einem Gesamtkonzept (das durchaus als SOLL-Zustand angesehen und von dem für die kommenden Jahre ein konkreter Aktionsplan mit Etappenzielen abgeleitet werden kann), worin die Ziele, die Zuständigkeiten und Rollen, Elemente und Prozesse, die aus Sicht Compliance relevant sind, definiert werden. Dadurch wirken einzelne, durchaus vorhandene Compliance-Bestrebungen als unstrukturiert und isoliert, aber nicht als Teil eines Ganzen.
In einigen Fällen gibt es keine klar definierten Zuständigkeiten für die Überwachung der Compliance-Einhaltung. Ohne klare Kontrollen und Audits besteht das Risiko, dass Verstösse unentdeckt bleiben oder erst zu spät aufgedeckt werden. Eine eindeutige Zuweisung von Verantwortlichkeiten und deren Kommunikation sind essenziell.
Die Bedeutung von Compliance wird oft unterschätzt oder nur als theoretisches Konzept wahrgenommen. Eine fehlende Sensibilisierung der Mitarbeitenden kann dazu führen, dass Regeln und Vorschriften nicht ernst genommen werden. Eine gezielte Kommunikation und Schulungen sind notwendig, um Compliance und dessen Wert und Nutzen als festen Bestandteil der Verwaltungskultur zu etablieren.
Die öffentliche Verwaltung ist, wie Beispiele in der Vergangenheit zeigen, mehr oder weniger anfällig für Interessenkonflikte, insbesondere in Bereichen wie dem öffentlichen Beschaffungswesen. Ohne geeignete Massnahmen zur Identifikation und Vermeidung solcher Konflikte kann es zu Korruption und unlauteren Praktiken kommen.
4. Auswahl von Compliance-Fällen in der öffentlichen Hand
Die nachfolgenden vier anonymisierten Fälle, die sich alle in den letzten Jahren ereignet haben, zeigen auf, welche Compliance-Risiken in der öffentlichen Hand bestehen und welche Lehren daraus gezogen werden können.
a) Veruntreuung und Missbrauch öffentlicher Mittel
Ein ehemaliger leitender Angestellter einer öffentlichen Institution nutzte über mehrere Jahre hinweg seine Position, um private Ausgaben über die Kasse der Institution abzurechnen und sich illegale Gehaltserhöhungen zu genehmigen. Zudem wurden überhöhte Einkäufe von Firmen, bei denen er selbst auch beteiligt war, getätigt, um unrechtmässige Gewinne zu erzielen.
Der Fall führte zu einer Freiheitsstrafe und verdeutlicht die Notwendigkeit strengerer Kontrollmechanismen und den Umgang mit dem Thema Interessenkonflikte innerhalb öffentlicher Einrichtungen.
b) Mangelnde Aufsicht in einer medizinischen Einrichtung
In einer grossen medizinischen Einrichtung wurden interne Hinweise auf Fehlverhalten über einen längeren Zeitraum ignoriert. Dies führte zu schwerwiegenden Fehlentscheidungen und möglichen negativen Auswirkungen auf Patienten.
Das Ereignis unterstreicht die Bedeutung funktionierender interner Kontrollmechanismen und eines effektiven Whistleblowing-Systems.
c) Unrechtmässige Subventionsabrechnungen
Eine öffentliche Institution manipulierte über mehrere Jahre hinweg Abrechnungen, um höhere staatliche Subventionen zu erhalten. Dies führte zu einem erheblichen Vertrauensverlust und einem finanziellen Schaden in Millionenhöhe.
Der Fall zeigt die Dringlichkeit strengerer interner Kontrollsysteme und unabhängiger Compliance-Prüfungen.
d) Missmanagement in einer kommunalen Einrichtung
Ein leitender Verwaltungsmitarbeiter bewilligte sich und weiteren Führungskräften ungerechtfertigte Vorteile, führte eine intransparente Buchhaltung und verschob Gelder auf nicht vorgesehene Konti.
Dieser Fall führte zu umfassenden Untersuchungen, strafrechtlichen Konsequenzen und neuen Regelungen zur Kontrolle und Transparenz in der öffentlichen Verwaltung.
5. Die 10 wichtigsten Dos und Don’ts
Nachfolgend sollen in einer Art Zusammenfassung die je 10 wichtigsten Dos and Don’ts aufgeführt werden, um nochmals aufzuzeigen, was es bei der Compliance in der öffentlichen Hand besonders zu berücksichtigen und zu beachten gilt.
6. Fazit
Compliance in der öffentlichen Hand ist keine lästige, sondern eine essenzielle Pflicht.
Eine effektive Umsetzung minimiert Compliance-Verstösse (wie z.B. Korruption, Betrug, Interessenkonflikte), stärkt das Vertrauen der Bevölkerung und sorgt für eine transparente Verwaltung.
Entscheidend ist die Erkenntnis, dass Compliance nicht nur eine Frage der Vorschriften, sondern auch eine Frage der Werte und Kultur ist. Um langfristig eine nachhaltige Compliance zu etablieren, müssen Behörden und insbesondere die Führungskräfte nicht nur gesetzliche Vorgaben erfüllen, sondern auch eine offene und transparente Verwaltungskultur fördern und die festgelegten Werte vorleben und einfordern.
[1] Z.B. nach dem Compliance-Würfel-Modell (siehe dazu Wind Christian, Leitfaden Compliance, Pragmatisch & ganzheitlich, Stämpfli Verlag AG Bern 2018)