Das Urheberrecht sieht sich nach den digitalen Kunstwerken nun auch bei der Künstlichen Intelligenz (KI) neuen Herausforderungen ausgesetzt: Sind die Algorithmen selbst schutzfähig? Dürfen urheberrechtlich geschützte Inhalte für das Training von KI-Inhalten verwendet werden? Geniessen KI-Ergebnisse einen Urheberrechtschutz?
1. Ausgangslage
Die Künstliche Intelligenz (KI) ist ein bereits vielfach umschriebener, teilweise aber doch vage gebliebener Begriff. Die KI lässt sich als ein System verstehen, das maschinengestützt in der Lage ist, auf Grund von direkten oder indirekten Zielvorgaben einzelne Ergebnisse, wie z.B. Vorhersagen, abzuleiten, die sich auf die physische oder virtuelle Umgebung auswirken. Die verwendeten Algorithmen vermögen verschiedene Stufen vom maschinellen Lernen bis zu den neuronalen Netzwerken zu umfassen.
Das schweizerische (wie allgemein das kontinentaleuropäische) Urheberrecht formuliert grundsätzlich zwei Voraussetzungen für das Vorliegen eines schutzfähigen Werks, nämlich die (i) «geistige Schöpfung» und der (ii) «individuelle Charakter». Der Begriff der geistigen Schöpfung bedeutet, dass nur menschliche Errungenschaften dem Urheberrechtsschutz zugänglich sind; die Zuhilfenahme von Werkzeugen (z.B. Computer) ist, selbst wenn die herangezogenen Softwareprogramme zufallsbasiert sind, möglich, solange der Mensch die unmittelbar steuernde Kontrolle behält.
2. Entwicklung von KI-Modellen
Bei der Entwicklung von KI-Modellen kommt es nicht selten zum Einsatz von urheberrechtlich geschützten Werken, insbesondere etwa im Kontext des Trainings von Daten. Bisher werden in der wissenschaftlichen Diskussion sehr unterschiedliche Auffassungen vertreten. Die zum Teil geäusserte Meinung, der Rechteinhaber könne wegen einer möglichen Verletzung des Vervielfältigungsrechts die Nutzung verbieten (oder nur gegen Entgelt erlauben), überzeugt deshalb nicht, weil dadurch die KI-Entwicklungen stark behindert und ausserdem erhebliche Transaktionskosten (für die Verbotsdurchsetzung oder die Aushandlung des Entgelts) entstehen würden.
Eine Nichtbeachtung des Vervielfältigungsgrundsatzes, ähnlich wie bei den technisch bedingten Vervielfältigungen im Internet, würde hingegen die Position des Rechteinhabers stark schwächen. Die für das Training eingesetzten Daten gelangen regelmässig in eine Datenbank, weshalb die Voraussetzungen für den Schutz als Sammelwerk allenfalls erfüllt sein könnten. Die Beurteilung der Rechtslage ist somit mit grossen Unsicherheiten verbunden; eine Klärung im Urheberrechtsgesetz (URG) wäre deshalb erwünscht.
Im Ausland, vor allem in den USA, sind schon mehrere Urteile gefällt worden, die (leicht) mehrheitlich zugunsten der KI-Anbieter ausgefallen sind (auf der Basis der sog. «Fair-Use-Doctrine». In der Schweiz kommt gegebenenfalls für Zwecke der wissenschaftlichen Forschung eine die Verwendung geschätzter Werke erlaubende Ausnahme (Art. 24d URG) zur Anwendung. Überdies scheint noch die Möglichkeit offen zu sein, mit einem an den Werken interessierten Unternehmen (individuell) eine erweiterte Kollektivlizenz (Art. 43a URG) zur Nutzung urheberrechtlich geschützter Werke auszuhandeln.
3. Schutzfähigkeit von KI-Erzeugnissen
Sofern die Architektur eines KI-Modells eine geistige Schöpfung mit individuellem Charakter darstellt, was oft zutreffen dürfte, ist von einer urheberrechtlichen Schutzfähigkeit auszugehen; dies trifft in der Regel ebenso auf die Trainingsskripte zu, nicht aber auf die trainierten Parameter, die numerische Elemente reflektieren. Während demgemäss computerunterstützte KI-Erzeugnisse oft die urheberrechtlich relevanten Erfordernisse erfüllen, fehlt einem abstrakten Algorithmus mangels ausreichender individueller «Formgebung» hingegen der urheberrechtlich notwendige Werkcharakter.
Durch KI produzierte Erzeugnisse sind regelmässig computergeneriert. Massgeblich mit Blick auf den Urheberrechtsschutz ist deshalb der Grad der menschlichen Einflussnahme auf das Computerprogramm. Unterscheiden lassen sich insoweit verschiedene Phasen der KI-Anwendung. Während der menschliche Einfluss in der Vorbereitungsphase (z.B. beim Training von KI-Daten) meist nur indirekt erfolgt, was eine Zurechnung an Menschen stark erschwert, ist der individuelle Einfluss in der Anwendungsphase grösser, weil eine Steuerung durch die Eingabe von Prompts und weiteren Eingabeoptionen möglich ist. Konkret hängt die rechtliche Beurteilung indessen von der Gestaltung der Eingabeoptionen ab; im Falle von ChatGPT, jedenfalls wenn lediglich die Eingabe von Prompts zugelassen ist, erscheint die geistige Schöpfung als zweifelhaft, bei KI-Bild-Generatoren hingegen eher denkbar.
Ein weiteres Kriterium für den individuellen Charakter kann auch der Autonomiegrad sein: Vermag der Mensch das KI-Erzeugnis zumindest in seinen Grundzügen festzulegen, ist ein Urheberrechtsschutz denkbar; wenn die KI-Ergebnisse hingegen für den Menschen nicht voraussehbar sind oder sich die Mitwirkung sogar nur auf einen Knopfdruck beschränkt, sind die Voraussetzungen des Urheberrechtsschutzes nicht erfüllt.
Gesamthaft ergibt sich mit Blick auf die Behandlung von KI-Modellen und KI-Erzeugnissen dementsprechend ein unscharfes und auch nicht wirklich kohärentes Bild der urheberrechtlichen Rahmenbedingungen. Die vorhandenen Schutzlücken sind vom Gesetzgeber zu füllen.
4. Handlungsbedarf für den Gesetzgeber
Bereits tätig geworden ist der Bundesrat im verwandten Bereich der Verwendung von «Medienprodukten». Im Hinblick auf die Übernahme von Inhalten traditioneller Medien in KI-gestützten Angeboten von Digitalkonzernen steht derzeit der Vorschlag im Raum, ein besonderes neues Leistungsschutzrecht zu schaffen, welches die solche Medieninhalte übernehmenden KI-Anbieter verpflichtet, eine gewisse Entschädigung an die Eigentümer der Medien zu bezahlen, welche die entsprechenden Inhalte schaffen; in den Einzelheiten ist der Vorschlag des Bundesrates aber sehr umstritten.
Die vorerwähnten Schutzlücken des URG dürften den Gesetzgeber in der Schweiz (und in den umliegenden Ländern) in der nächsten Zeit veranlassen, gewisse Anpassungen im Urheberrechtsgesetz vorzunehmen. Denkbar wäre, die Anforderungen an den menschlichen Einfluss im Urheberrecht durch die Abschwächung der Kriterien der geistigen Schöpfung und des individuellen Charakters zu reduzieren. Ob ein solcher Ansatz zielführend ist, erscheint jedoch fraglich. Die Erweiterung des Urheberrechtsschutzes auf alle computergenerierten Erzeugnisse ist deshalb nicht sinnvoll.
Als geeigneter erscheint die gesetzgeberische Einführung einer neuen Schrankenbestimmung im URG, die festlegt, unter welchen Bedingungen urheberrechtlich geschützte Werke für das Training von KI-Modellen genutzt werden dürfen, und welche Entschädigungspflicht eine solche Nutzung zur Folge hat (sog. gesetzliche Lizenz). Alternativ wäre an eine ähnliche Regelung zu denken, wie sie die Europäische Union (EU) in Art. 53 Abs. 1 lit. c der KI-Verordnung vorgesehen hat: Danach kann ein Rechteinhaber durch ein sog. «Opting-Out» in geeigneter (meist maschinenlesbarer) Form für ein bestimmtes oder für mehrere geschützte Werke einen Nutzungsvorbehalt anbringen, welche die KI-Anbieter an der Nutzung hindern oder sie zur Leistung eines Entgelts verpflichten. Weiter wäre denkbar, die gesetzliche Lizenz mit einer «Opting-Out»-Lösung gesetzgeberisch zu kombinieren.
Die Einführung eines allgemeinen Leistungsschutzrechts zugunsten der Rechteinhaber, welches die Anbieter von durch KI produzierten Erzeugnissen umfassend zur Entschädigung für die Nutzung von urheberrechtlich geschützten Werken verpflichtet, ist an sich ebenfalls möglich. Im Vordergrund stehen würde diesfalls der Aspekt des Investitionsschutzes, der zum Ziel hat, Anreize für Investitionen im KI-Bereich zu stärken. Ob dieser Ansatz aber wirklich tragfähig ist, wird in der Diskussion unterschiedlich beurteilt.
Jedenfalls sinnvoll wäre die Einführung einer KI-Kennzeichnungspflicht durch die Anbieter computergenerierter Erzeugnisse, wie sie auch in der KI-Verordnung der EU vorgesehen ist.