Das Bundesgericht erachtet eine Regelung zur Automatischen Fahrzeugfahndung und Verkehrsüberwachung im Polizeigesetz des Kantons Luzern als unzulässig. Spannend wird sein, wie Kantone auf dieses unlängst ergangene Urteil reagieren, die analoge Instrumentarien im Einsatz haben oder deren Einführung planen.
Die fortschreitende Technologisierung und Digitalisierung durchdringen auch den Polizeiberuf. Den Polizeibehörden werden neue Einsatz- und Hilfsmittel an die Hand gegeben, die zuvor ungeahnte Möglichkeiten im Hinblick auf die Strafverfolgung und die Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung eröffnen. Ein aktuelles Beispiel für diese Entwicklung ist die sogenannte Automatische Fahrzeugfahndung und Verkehrsüberwachung (AFV). Wie die Bezeichnung insinuiert, werden bei der AFV Kontrollschildnummern (und zuweilen auch Fahrzeuginsassen) von mobilen oder stationären Kamerageräten erfasst und die erhobenen Daten mit Angaben aus polizeilichen oder sonstigen behördlichen Datenbanken abgeglichen – bis zum Fahndungserfolg ist es da nicht mehr weit.
Auch in der Schweiz hat die AFV Konjunktur: In den vergangenen Jahren haben gleich mehrere Kantone die Polizeigesetze um Bestimmungen zur AFV ergänzt, die bestehenden Regelungen überarbeitet und dabei den Anwendungsbereich der AFV ausgeweitet oder sie planen die Schaffung entsprechender gesetzlicher Grundlagen. Während Befürworter der AFV deren Vorzüge preisen, warnen Kritiker vor massiven Grundrechtseingriffen und «Massenüberwachung». Was stimmt?
In einem Entscheid, der zur Publikation vorgesehen ist, hat sich das Bundesgericht jüngst vertieft mit der rechtlichen Zulässigkeit der AFV-Bestimmung im Polizeigesetz des Kantons Luzern auseinandergesetzt. Mehrere Personen hatten Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten erhoben und vorgebracht, dass die Bestimmungen verfassungs- und konventionswidrig seien. Die hier interessierende Norm zur AFV, die am 24. Oktober 2022 vom Kantonsrat Luzern beschlossen und am 1. Januar 2023 in Kraft gesetzt wurde, lautet wie folgt:
§ 4quinquies Automatische Fahrzeugfahndung und Verkehrsüberwachung
1 Die Luzerner Polizei kann Kontrollschilder von Fahrzeugen, deren Insassinnen und Insassen sowie die Fahrzeuge selbst automatisiert optisch erfassen. Die Erfassung dient ausschliesslich zur Fahndung nach Personen oder Sachen sowie zur Verfolgung von Verbrechen und Vergehen. Die Standorte von stationären Erfassungsgeräten sind auf einer öffentlichen Liste aufzuführen.
2 Die Luzerner Polizei kann die nach Absatz 1 erhobenen Daten mit Datenbanken automatisiert abgleichen, analysieren und zur Erstellung von Bewegungsprofilen nutzen. Der automatisierte Abgleich ist zulässig
a. mit polizeilichen Personen- und Sachfahndungsregistern,
b. mit konkreten Fahndungsaufträgen.
3 Sie kann die Sach- und Personendaten der automatischen Fahrzeugfahndung und Verkehrsüberwachung im Abrufverfahren mit den Polizei-, Strassenverkehrs- und Zollbehörden des Bundes sowie den Polizeibehörden anderer Kantone und des Fürstentums Liechtenstein austauschen. Der Datenaustausch ist zu protokollieren.
4 Die Luzerner Polizei darf die automatisiert erfassten Personendaten während 100 Tagen verwenden zur
a. Verfolgung von Verbrechen und Vergehen, die in Artikel 269 Absatz 2 StPO aufgeführt sind, sowie von schweren Strassenverkehrsdelikten im Sinn von Artikel 90 Absatz 3 des Strassenverkehrsgesetzes (SVG),
b. Fahndung nach vermissten oder entwichenen Personen.
5 Die Vernichtung der automatisiert erfassten Personendaten erfolgt
a. bei fehlender Übereinstimmung mit einer Datenbank spätestens nach 100 Tagen,
b. bei Übereinstimmung mit einer Datenbank nach den jeweiligen Bestimmungen des Straf- oder Verwaltungsverfahrens, für welches die Daten beigezogen werden.
In seinen Erwägungen zu § 4quinquies PolG-LU beschäftigt sich das Bundesgericht ausführlich mit der Zweckbestimmung der einschlägigen AFV und prüft, ob überhaupt eine diesbezüglich kantonale Gesetzgebungskompetenz gegeben ist. Mit Verweis auf den Gesetzestext und Ausführungen in der Botschaft kommt es zum Schluss, dass der Schwerpunkt des Einsatzes der AFV bei der strafprozessrechtlichen Strafverfolgung liege, nicht der kantonal geregelten Gefahrenabwehr. Gemäss Bundesgericht ist keine kantonale Zuständigkeit für den Erlass einer solchen strafprozessualen Massnahme gegeben. Vielmehr hätte diese in der Strafprozessordnung geregelt werden müssen. Den nach dem Wegfall der strafprozessrechtlichen Komponente übrigbleibenden Inhalt von § 4quinquies PolG-LU qualifiziert das Bundesgericht aufgrund der weitreichenden, unspezifischen Möglichkeit zur Datenerfassung, -auswertung und -aufbewahrung als unverhältnismässig und hebt die Bestimmung vollständig auf.
Die Bestimmung zur AFV im Polizeigesetz des Kantons Luzern verdeutlicht einmal mehr, dass die Abgrenzung zwischen der StPO und dem kantonalen Polizeigesetz nicht nur im polizeilichen Alltag Abgrenzungsschwierigkeiten bereitet, sondern auch in der Legiferierung. Da der Entscheid des Bundesgerichts lediglich Wirkung für den Kanton Luzern zeitigt, ist es schwierig, vorauszusehen, ob und inwieweit Kantone mit ähnlichen Bestimmungen sich durch das Urteil verpflichtet fühlen und – im Sinne einer Best Practice – zu dessen Verwirklichung beitragen.
Interessant wird in diesem Zusammenhang das Vorgehen des Kantons Zürich sein: Die Bestimmung zur AFV in § 32e der regierungsrätlichen Vorlage zur Revision des Polizeigesetzes erfüllt zwar mehrere Vorgaben aus der bundesgerichtlichen Rechtsprechung und unterscheidet sich insofern von der Luzerner AFV; in einigen vom Bundesgericht beanstandeten Punkten ähnelt sie indes der aufgehobenen Regelung in § 4quinquies PolG-LU. Ob das Urteil des Bundesgerichts zur Luzerner AFV die Zürcher Regelung beeinflussen und zu Anpassungen führen wird, wird sich weisen. Jedenfalls ist nicht ausgeschlossen, dass sich das Bundesgericht auch in Zukunft mit der Rechtmässigkeit von kantonalen Bestimmungen zur AFV beschäftigen wird.