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öff-recht blog: Digital only ist zulässig – Bundesgericht weist Beschwerde gegen die Pflicht zu elektronischen Verfahrenshandlungen im Kanton Zürich ab

Brunner Florian, in: bratschi öff. Verfahrensrecht blog, Dezember 2024

Ab 1. Januar 2026 dürfen berufsmässige Parteivertreterinnen Verfahrenshandlungen in 
öffentlichrechtlichen Angelegenheiten im Kanton Zürich nur noch elektronisch vornehmen. Mit Urteil vom 3. Dezember 2024 erklärt das Bundesgericht das «Digitalisierungs-Obligatorium» als zulässig und weist eine dagegen gerichtete Beschwerde ab. Das Bundesgericht unterstreicht das öffentliche Interesse an der Digitalisierung von Verwaltungs- und Verwaltungsrechtspflegeverfahren. Das Urteil ist bedeutsam für Kantone, die eine ähnliche Regelung anstreben wie der Kanton Zürich.

Am  30. Oktober 2023 verabschiedete der Zürcher Kantonsrat einstimmig die Vorlage 5853 (Elektronische Verfahrenshandlungen) und revidierte das Verwaltungsrechtspflegegesetz vom 24. Mai 1959 («VRG/ZH»). Neu müssen Personen, die berufsmässig Parteien vor Ver­waltungs­behörden oder Gerichten vertreten oder zur Parteivertretung befugt sind, Ver­fahrens­handlungen elektronisch vornehmen. Das ergibt sich aus § 4d Abs. 2 nVRG/ZH, der wie folgt lautet:

 

«² Im Rahmen der jeweiligen Tätigkeit muss Verfahrenshandlungen ebenfalls elektronisch vornehmen, wer

 

a.  berufsmässig Personen vor Verwaltungsbehörden oder Gerichten vertritt,

 

b.  nach dem Bundesgesetz vom 23. Juni 2000 über die Freizügigkeit der Anwäl­tinnen und Anwälte Parteien vor schweizerischen Gerichten vertreten darf,

 

c.  gestützt auf eine einstweilige Bewilligung nach § 5 des Anwaltsgesetzes vom 17. November 2003 handelt.»

 

§ 4d Abs. 2 nVRG/ZH führt zu einer «Digital-only-Pflicht»: Berufsmässige Parteivertreterinnen dürfen ihre Verfahrenshandlungen nur noch elektronisch vornehmen. Sie müssen ihre Eingaben mit einer qualifizierten elektronischen Signatur gemäss ZertES versehen und für die Übermittlung einen elektronischen Kanal verwenden. Ein Wahlrecht zwischen postalischem und elektronischem Verkehr besteht nicht. Die Regelung wird per 1. Januar 2026 in Kraft treten (RRB Nr. 727 / 727).

 

Gegen diese Regelung gelangten eine in Zürich ansässige Anwaltskanzlei und ein im Anwalts­register des Kantons Aargau registrierter Rechtsanwalt mittels Beschwerde in öffentlich-recht­lichen Angelegenheiten ans Bundesgericht (abstrakte Normenkontrolle). Sie machten geltend, die «Digital-only-Pflicht» habe «unmittelbare Konsequenzen für die betriebliche Orga­nisation», weil «die Rechtsvertretung persönlich umdisponieren oder aber ihr Sekretariats­personal anders instru­ieren müsse als bisher». Der «Digitalisierungszwang» führe zudem zu Kosten und Änderungen bei der Aktenführung (E. 4.3.1). Er sei ein Eingriff in die Wirtschaftsfreiheit (Art. 27 BV), der nicht im öffentlichen Interesse liege und unverhältnismässig sei. Zudem verletze die Pflicht das BGFA.

 

Das Bundesgericht weist die Beschwerde mit Urteil 2C_113/2024 vom 2. Dezember 2024 ab (zur amtlichen Publikation vorgesehen). Zentral sind die folgenden Erwägungen:

 

  • Leichter Eingriff in die Wirtschaftsfreiheit (E. 4): Das Bundesgericht erachtet die Pflicht zur elektronischen Vornahme von Verfahrenshandlungen als einen leichten Eingriff in die Wirt­schafts­freiheit gemäss Art. 27 BV (freie Wahl der betrieblichen Sachmittel bzw. Ver­fahren sowie Organisationsautonomie). Deshalb prüft das Bundesgericht, ob der Ein­griff im öffentlichen Interesse liegt und verhältnismässig ist (Art. 36 Abs. 2 und Abs. 3 BV).

     

  • Öffentliches Interesse (E. 5): Das Bundesgericht betont mit Hinweis auf Bestimmungen in der Zürcher Kantonsverfassung, dass «im Kanton Zürich zweifellos ein beträchtliches öffentliches Interesse an möglichst effizienten bzw. raschen Verwaltungs- und Justiz­ver­fahren» bestehe (E. 5.5). Dazu könne der elektronische Geschäftsverkehr beitragen (E. 5.7). Entsprechend seien staatliche Stellen dazu berufen, das «mit der Digitalisierung einhergehende erhebliche Potenzial zur Verfahrensvereinfachung und -beschleunigung auszuschöpfen» (E. 5.10). Das Bundesgericht zitiert Studien, gemäss welchen die Digita­lisierung des Rechtsverkehrs ein Bedürfnis von Bevölkerung und Wirtschaft sei (E. 5.12). Das vorgesehene Obligatorium leiste einen wichtigen Beitrag zur Digitalisierung in der Ver­waltung und im Justizwesen (E. 5.10) und werde grundsätzlich auch vom Schweizerischen und vom Zürcher Anwaltsverband begrüsst (E. 5.13). Damit sei die «Digital-only-Pflicht» gemäss § 4d nVRG/ZH im öffentlichen Interesse. 

     

  • Verhältnismässigkeit (E. 6): Das Bundesgericht bejaht die Eignung der Regelung, weil eine «‹digital only›-Verpflichtung ohne weiteres zur Förderung rascher und wirtschaftlicher Ver­fahren» beitrage (E. 6.3). Ebenso bejaht es die Erforderlichkeit der «Digital-only-Pflicht», weil ein bloss freiwilliger elektronischer Rechtsverkehr nicht gleich geeignet ist zur Ver­wirk­lichung einer möglichst effizienten – d.h. digitalen – Verwaltung; es sei daher «nicht zu bean­standen, dass der Kanton Zürich den Zwischenschritt der vollumfänglichen Freiwilligkeit auslässt» (E. 6.4). Schliesslich bestätigt das Bundesgericht auch die Zu­mut­barkeit der Regelung: Der Registrierungsaufwand für den Erhalt einer qualifizierten elek­tronischen Signatur sei gering (E. 6.5.1), die Kosten für elektronische Eingaben ebenso (E. 6.5.2). Die Einführung des Obligatoriums ohne Übergangsfrist sei zumutbar, da zwischen Verabschiedung (30. Oktober 2023) und Inkrafttreten (1. Januar 2026) mehr als zwei Jahre vergehen (E. 6.5.4). Damit ist die «Digital-only-Pflicht» gemäss § 4d nVRG/ZH verhältnismässig (E. 6.6). Die Wirtschaftsfreiheit ist nicht verletzt (E. 7).

     

  • Vereinbarkeit mit Bundesrecht (E. 8): Die Beschwerdeführenden rügten, die «Digital-only-Pflicht» führe zu einer unzulässigen Erweiterung der anwaltlichen Berufspflichten gemäss BGFA, was gegen den Vorrang des Bundesrechts (Art. 49 BV) verstosse. Das Bundesgericht folgt diesem Argument nicht. Die «Digital-only-Pflicht» diene nicht – wie das für die Berufspflichten kennzeichnend sei – dem Polizeigüterschutz, sondern der Steigerung der Effizienz von Verwaltungs- und Justizverfahren. Sie stütze sich «auf die kantonale Kompetenz zur Regelung des kantonalen öffentlichen Verfahrensrechts» (E. 8.4). Das BGFA und der Grundsatz des Vorrangs des Bundesrechts sind nicht verletzt (E. 8.6).

     

    Das sorgfältig begründete Urteil unterstreicht, dass aus Effizienzgründen ein öffentliches Interesse an der Digitalisierung von Verwaltungs- und Verwaltungsrechtspflegeverfahren besteht. Dadurch verknüpft es Digitalisierungsbestrebungen mit der Verfahrensökonomie. Ferner zeigt das Urteil, dass ein «Digitalisierungs-Obligatorium» selbst ohne Übergangsfrist zulässig sein kann. Damit steht fest, dass sich Anwältinnen und Anwälte im Kanton Zürich mit dem Umstieg auf «digital only» arrangieren müssen. Das ist auch bedeutsam für andere Kantone, die ihre Verfahren in öffentlichrechtlichen Angelegenheiten ebenfalls digitalisieren wollen. Insofern könnte das Urteil den Anstoss zu «Digital-only-Pflichten» in weiteren Kantonen bilden.

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