Das Bundesgericht hat in einem kürzlich ergangenen Urteil die gewinnsteuerlichen Konsequenzen bei Nichteinhaltung der von der ESTV anerkannten Zinssätze präzisiert. Neu sind die Steuerbehörden in solchen Fällen nicht mehr an die Zinssätze des ESTV-Rundschreibens gebunden, sondern können einen marktüblichen Zinssatz festlegen. Diese neue Praxis ist jedoch komplex und führt zu einem erheblichen Mehraufwand für die Steuerverwaltungen. Es bleibt abzuwarten, ob sich diese Regelung langfristig durchsetzen wird. Unternehmen sollten daher sorgfältig prüfen, ob es sinnvoll ist, den steuerlich anerkannten Zinssatzrahmen zu verlassen.
ESTV-Rundschreiben über steuerlich anerkannte Zinssätze
Die eidgenössische Steuerverwaltung (ESTV) veröffentlicht jährlich Rundschreiben mit Zinssätzen, welche die Anwendung des Prinzips der Marktüblichkeit bei Darlehen zwischen Gesellschaften und nahestehenden Personen vereinfachen sollen. Diese Zinssätze sind nicht bindend, es sollte jedoch nur in Ausnahmefällen von ihnen abgewichen werden, da sie eine einheitliche Rechtsanwendung und administrative Vereinfachung gewährleisten. Die festgelegten Zinssätze gelten als «safe haven rules»: Bei ihrer Einhaltung wird keine mit negativen steuerlichen Folgen verbundene geldwerte Leistung vermutet. Weicht die steuerpflichtige Person davon ab, muss sie nachweisen, dass der abweichende Zinssatz dennoch marktkonform ist, da dadurch rechtsprechungsgemäss die Beweislast zu ihren Lasten umkehrt.
Urteil des Bundesgerichts
Im nun vom Bundesgericht beurteilten Fall wich eine im Kanton Zürich steuerpflichtige Gesellschaft von den «safe haven rules» ab und konnte den Drittvergleich vor den unteren Instanzen nicht rechtsgenügend nachweisen. Das Bundesgericht prüfte daher, ob das Steueramt an die «safe haven rules» gebunden ist, oder ihrerseits den Nachweis einer Drittvergleichskonformität erbringen und einen Zins, der unterhalb der in den Rundschreiben festgelegten Zinssätzen liegt, festlegen darf.
Zunächst bestätigte das Bundesgericht, dass die oben erwähnten, von der ESTV jährlich publizierten Rundschreiben nicht bloss im Bereich der direkten Bundessteuer und der Verrechnungssteuer, sondern auch im Bereich der Staats- und Gemeindesteuern anwendbar sind.
Im Anschluss befand das Bundesgericht, dass die kantonale Steuerbehörde grundsätzlich an die in den ESTV-Rundschreiben festgelegten Zinssätze gebunden ist, solange die steuerpflichtige Person diese einhält. Weicht diese jedoch davon ab und kann sie keinen marktkonformen Zinssatz nachweisen, entfällt auch die Bindung der Behörde an die «safe haven»-Zinssätze. Da diese Regeln der administrativen Vereinfachung dienen, wird dieser Zweck gemäss Ansicht des Bundesgerichts verfehlt, wenn die steuerpflichtige Person einen höheren Zinssatz als den maximal zulässigen festlegt. In einem solchen Fall darf das Steueramt einen marktgerechten Zinssatz festlegen, der auch unter dem gemäss «safe haven rules» zulässigen Höchstsatz liegen kann. Die steuerpflichtige Person kann sich dann nicht mehr auf den Vertrauensschutz oder das Gleichbehandlungsgebot berufen, da sie den Schutzbereich der «safe haven rules» verlassen hat.
Folgendes Beispiel veranschaulicht die neue Rechtsprechung
Höchstzinssatz gemäss Rundschreiben: 1.5%
verwendeter Zinssatz der steuerpflichtigen Person: 2.5%
Marktgerechter Zinssatz: 1.2%
Bei Anwendung der alten Praxis hätte das Steueramt den anwendbaren Zinssatz auf den Höchstzinssatz von 1.5% gemäss Rundschreiben reduziert und die Differenz von 1% als geldwerte Leistung aufgerechnet. Neu kann das das Steueramt gemäss Bundesgericht den konkret marktgerechten Zinssatz selbst berechnen und diesen anwenden (hier 1.2%), womit die Differenz von 1.3% als geldwerte Leistung aufgerechnet wird.
Fazit
Mit dieser Rechtsprechung kommt eine erhebliche Mehrbelastung auf die kantonalen Steuerbehörden zu. Es ist daher fraglich, ob die Steuerämter die neue Praxis des Bundesgerichts übernehmen oder ob sie weiterhin zu Gunsten der Steuerpflichtigen – und auch im Sinne einer verwaltungseffizienten Steuererhebung – die alte Praxis weiterführen. Zudem ist aktuell noch nicht geklärt, ob die ESTV diese Praxis auch für die Verrechnungssteuer einführen wird.
In der Praxis sollten daher die Zinssätze gemäss ESTV-Rundschreiben nur mit Zurückhaltung bzw. sehr guter Dokumentation überschritten werden, da nicht darauf vertraut werden kann, dass das Steueramt den überhöhten Zinssatz praxisgemäss auf das Niveau der «safe haven rules» reduziert. Insbesondere geringfügige Überschreitungen sollten wohlüberlegt sein. In Zweifelsfällen steht auch die Möglichkeit offen, eine Transferpreisstudie für Zinskosten heranzuziehen. Die ESTV hat hierfür auf ihrer Webseite verschiedene Fragen im Zusammenhang mit der Erstellung von Transferpreisstudien bei konzerninternen Darlehen aufgeschaltet.
Unternehmen sollten nun aktiv werden und ihre bestehenden Darlehensverträge zwischen Gruppengesellschaften und mit Nahestehenden überprüfen und falls notwendig anpassen. Gerne stehen wir Ihnen hierzu zur Verfügung.