In der vergangenen Saison 2023 / 2024 der Swiss Super League ordneten die Behörden als Reaktion auf Gewalttaten inner- und ausserhalb der Fussballstadien verschiedentlich die Schliessung von Fansektoren an. Sektorenschliessungen sind umstritten. Der FC Zürich wehrt sich mittlerweile auf dem Rechtsweg gegen sie. Dieser Beitrag zeigt, welche Rechtsfragen sich bei der Prüfung der Rechtmässigkeit von Sektorenschliessungen stellen.
1. Ausgangslage
Rund um Fussballspiele kommt es immer wieder zu gewalttätigem Verhalten von «Fans». Um der Gewalt zu begegnen, entwickelte die Konferenz der kantonalen Justiz- und Polizeidirektorinnen und -direktoren («KKJPD») das sog. Kaskadenmodell, das auf die Saison 2024 / 2025 hin eingeführt werden soll. Dieses definiert im Sinne einer Stufenordnung für unterschiedliche Eskalationsstufen unterschiedlich harte Massnahmen. Die Swiss Football League und die Fussballklubs lehnen das Kaskadenmodell als nicht zielführend und unverhältnismässig ab.
Für die Eskalationsstufe 3 von 5 sieht das Kaskadenmodell die Schliessung von Fankurven im Stadion vor (sog. Sektorenschliessung). Diese Massnahme ordneten die Bewilligungsbehörden in der vergangenen Saison bereits mehrfach an. Sie stützten sich auf das Konkordat über Massnahmen gegen Gewalt anlässlich von Sportveranstaltungen («Hooligan-Konkordat»), welches schon heute gilt. So blieb etwa die «Südkurve», die Fankurve des FC Zürich («FCZ»), in den Partien des FCZ gegen Lausanne-Sport am 31. Januar 2024 und gegen den FC St. Gallen am 21. April 2024 geschlossen.
Die Sektorenschliessungen sind umstritten. Sie werden von den Fussballklubs als Einschränkung der Wirtschaftsfreiheit (Art. 27 BV) und von der Fanszene als unzulässige «Kollektivstrafe» mit pönalem Charakter empfunden. Demgegenüber erachtet sie die KKJPD als legitimes Mittel zur Gewaltprävention.
Was gilt in juristischer Hinsicht? Sektorenschliessungen sind polizeirechtliche Massnahmen und müssen als solche die Grundsätze des rechtsstaatlichen Verwaltungshandelns einhalten. Konkret werfen sie die folgenden Rechtsfragen auf:
Aus den Medien ist bekannt, dass der FCZ auf dem Rechtsweg gegen die in der Saison 2023 / 2024 angeordneten Sektorenschliessungen vorgeht. Das Verfahren liegt derzeit noch bei den Verwaltungsbehörden; dereinst werden wohl die Gerichte über die Rechtmässigkeit von Sektorenschliessungen entscheiden. Bei der Beantwortung der obigen Rechtsfragen werden sie die nachfolgenden Punkte in Erwägung ziehen.
2. Ist das Hooligan-Konkordat eine genügende Rechtsgrundlage?
Das Legalitätsprinzip verlangt, dass jede staatliche Massnahme eine genügende Rechtsgrundlage hat (Art. 5 Abs. 1 BV). Als Rechtsgrundlage für Sektorenschliessungen kommt Art. 3a Abs. 2 des Hooligan-Konkordats infrage. Dieser sieht vor, dass die Behörden die Bewilligung gewisser Fussballspiele zur «Verhinderung gewalttätigen Verhaltens» mit «Auflagen» verbinden kann.
Es fragt sich, ob Sektorenschliessungen unter die Auflagen zur Verhinderung gewalttätigen Verhaltens im Sinne von Art. 3a Abs. 2 des Hooligan-Konkordats subsumiert werden können. Klar ist, dass das Hooligan-Konkordat nur für «präventive» Massnahmen zur Verhinderung von künftigen Gewalttaten eine genügende Rechtsgrundlage bildet, nicht aber für ausschliesslich pönale, repressive Massnahmen, d.h. die Bestrafung von Gewalt in der Vergangenheit. Demnach ist entscheidend, ob die Sektorenschliessung auf eine präventive oder eine pönale Wirkung ausgelegt ist, was stets im Einzelfall zu beurteilen ist. Unzulässig wäre es beispielsweise, eine Sektorenschliessung einzig als Reaktion auf Gewalt in der Vergangenheit anzuordnen, ohne dass auch Hinweise auf künftige Gewalttätigkeiten bestehen, welche die Behörden mit der Schliessung zu unterbinden versuchen.
3. Sind Sektorenschliessungen verhältnismässig?
Sektorenschliessungen müssen, wie jedes staatliche Handeln, verhältnismässig sein. Der Verhältnismässigkeitsgrundsatz (Art. 5 Abs. 2 BV) hat drei Teilelemente:
4. Kann die Gewalt dem Fussballklub zugerechnet werden?
Im Polizeirecht gilt, dass sich polizeiliche Massnahmen nur gegen den Störer und nicht gegen Dritte richten dürfen. Als Störer gilt auch der sog. «Zweckveranlasser», der durch sein Verhalten bewirkt oder bewusst in Kauf nimmt, dass ein Dritter die Polizeigüter stört oder gefährdet. Mit der Figur des Zweckveranlassers ist eine Verantwortung für das Verhalten Dritter verbunden, was heikel ist, aber vom Bundesgericht bisher verschiedentlich geschützt wurde.
Bei den Sektorenschliessungen ist jeweils im Einzelfall zu beurteilen, ob diese in einem Zusammenhang mit dem Fussballspiel stehen und der Fussballklub Zweckveranlasser der gewalttätigen Ereignisse ist. Zu berücksichtigen ist, dass das Hooligan-Konkordat die Begriffe des gewalttätigen Verhaltens und der Gewalttätigkeiten extensiv definiert (Art. 2 Abs. 1) und Straftaten erfasst, die sich im Vorfeld, während oder im Nachgang einer Sportveranstaltung ereignet haben, was bei Gewalt im Kontext von Sportveranstaltungen ausnahmslos der Fall sein dürfte. Umgekehrt können die Fussballklubs auch nicht für jedes Verhalten gewalttätiger «Fans» einstehen.
5. Ausblick
Die Gerichte werden die oben aufgeworfenen Fragen zur gegebenen Zeit beantworten und damit den behördlichen Umgang mit Gewalt anlässlich von Sportveranstaltungen prägen. Wie auch immer sie entscheiden werden: Es ist zu hoffen, dass inskünftig alle Beteiligten gemeinsam gegen Gewalt inner- und ausserhalb von Stadien vorgehen – damit der Fussball die «schönste Nebensache der Welt» bleibt!