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Naturbezogene Finanzrisiken als neue Compliance-Aufgabe

Weber Rolf H., in: bratschiLetter Compliance, April 2025

Das FINMA-Rundschreiben 2026/1 «Naturbezogene Finanzrisiken» verpflichtet Banken und Versicherungen, ab 2026 das Risikomanagement, dessen interne Dokumentation und das interne Kontrollsystem mit Blick auf solche Risiken den neuen Herausforderungen anzupassen.

1. Regulatorisches Umfeld

 

Die intensivierte Diskussion zu Nachhaltigkeit und Klimawandel hat in den letzten Jahren viele internationale Standardisierungs-Organisationen veranlasst, Richtlinien und Massnahmenpakete mit Blick auf diese umweltbedingten Herausforderungen auszuarbeiten. Neben den direkten Branchenorganisationen für Banken und Versicherungen publizierten z.B. das Network for Greening the Financial System (NGFS) eine konzeptionelle Rahmenordnung (Juni 2023) und die OECD ein Aufsichtsmodell (September 2023). Der Financial Stability Board (FSB) fasste die verschiedenen Ansätze im Juli 2024 in einem Übersichtspapier zusammen. Im Vergleich zu früheren Vorschlägen betreffen die neueren Initiativen nicht nur die Nachhaltigkeit allgemein und den Klimawandel, sondern spezifisch auch die naturbezogenen Finanzrisiken, die insbesondere die Biodiversität (gemäss den multilateralen Abkommen) mitumfassen.

 

Angesichts dieser internationalen Bemühungen ist die FINMA nicht untätig geblieben und hat im Februar 2024 einen Entwurf für ein Rundschreiben zu den naturbezogenen Finanzrisiken in die Vernehmlassung gegeben. Angesichts verschiedener kritischer Vernehmlassungen haben sich die Verabschiedung und das Inkrafttreten (von 2025 auf 2026) leicht verzögert. Veröffentlicht worden ist das Rundschreiben 2026/1 am 12. Dezember 2024 (finma-rs-2026-01.pdf); die Banken und Versicherungen der Kategorien 1 und 2 müssen die Vorgaben ab dem 1. Januar 2026 einhalten, die Finanzinstitute der Kategorien 3, 4 und 5 folgen am 1. Januar 2027.

 

 

2. Inhalt des FINMA-Rundschreibens

 

Gemäss dem FINMA-Rundschreiben gelten als naturbezogene Finanzrisiken das kurz-, mittel- oder langfristige Potenzial direkter oder indirekter Auswirkungen auf das Institut, das sich daraus ergibt, dass eine Exponierung gegenüber Klima- und weiteren Naturrisiken besteht (Rz 9). Neben den schon seit einigen Jahren regulatorisch erfassten klimabezogenen Finanzrisiken sind ausdrücklich auch weitere naturbezogene Finanzrisiken von den Instituten in ihrem Risikomanagement zu beachten (z.B. Naturveränderungen und damit verbundene Beeinträchtigungen von Ökosystemleistungen, etwa im Kontext der Biodiversität, Rz 11). Neben den üblichen Risikokategorien, die den Banken und Versicherungen aus dem traditionellen Geschäft schon bekannt sind (z.B. Kredit-, Markt-, Liquiditäts-, Geschäfts- und operationellen Risiken), erwähnt das FINMA-Rundschreiben ausdrücklich die Compliance-, (hervorgehoben), Rechts- und Reputationsrisiken (Rz 10).

 

Naturrisken unterteilen sich in (akute[1] und chronische[2]) physische Risiken und in Transaktionsrisiken[3] (Rz. 11/12). Eine Szenarioanalyse im Rahmen der naturbezogenen Finanzrisiken ist eine kritische (qualitativ oder quantitativ erfolgende) Auseinandersetzung mit möglichen zukünftigen Entwicklungen. Angesichts des weiten, dem FINMA-Rundschreiben zugrundliegenden Risikobegriff ist von einer Pflicht zur Identifikation aller potenziell denkbarer Risikofaktoren auszugehen.

 

Eine dem FINMA-Rundschreiben unterstellte Bank bzw. Versicherung hat die Aufgabe, Kompetenzen und Verantwortlichkeiten für die Identifikation, Beurteilung, Bewirtschaftung und Überwachung von naturbezogenen Finanzrisiken sowie für die regulatorisch vorgesehene Berichterstattung zu definieren und zu dokumentieren (Rz 14). Für die Ausgestaltung der Risikoidentifikation und der Wesentlichkeitsbeurteilung ist was folgt zu berücksichtigen:

  • Informationen aus internen und externen Quellen,
  • indirekte Wirkungen von Naturrisiken, 
  • die Exponierung gegenüber Regionen, 
  • Jurisdiktionen und Wirtschaftssektoren mit erhöhten Naturrisiken, und
  • quantitative oder qualitative Indikatoren und Materialitätsschwellen für die einzelnen Risiken (Rz 17-21). 

     

Die Wesentlichkeitsbeurteilung sollte sich auf Szenarioanalysen stützen, um die Auswirkungen von Naturrisken auf das Risikoprofil unter verschiedenen plausiblen Annahmen einzuschätzen; die Analyse hat individuell mit Blick auf das betroffene Institut und die möglichen Beeinträchtigungen seines Geschäftsmodells zu erfolgen.

 

Die Bewirtschaftung und Überwachung der als wesentlich beurteilten naturbezogenen Finanzrisiken sowie die Berichterstattung darüber sind angemessen in das institutsweite Risikomanagement und in das interne Kontrollsystem zu integrieren (Rz 28). Zusätzlich zu den erläuterten allgemeinen Bestimmungen enthält das FINMA-Rundschreiben noch konkrete Anordnungen zuhanden der unterstellten Banken (Kreditrisiko-, Marktrisiko-, Liquiditätsrisiko-, operationelles Resilienz-Risikomanagement, Rz 35-49) sowie der unterstellten Versicherungen (z.B. im Rahmen des Own Risk and Solvency Assessment [ORSA], Rz 50-63).

 

 

3. Herausforderungen angesichts der neuen Vorgaben

 

Das neue Rundschreiben ist, wie von der FINMA angestrebt, grundsätzlich Prinzipien-basiert und Technologie-neutral ausgestaltet, entspricht insoweit also dem erwünschten gesetzgeberischen Regulierungsansatz. Das Prinzip der Verhältnismässigkeit ist ausdrücklich im Titel zum Geltungsbereich des Rundschreibens erwähnt (vor Rz 2). Der Proportionalitätsgedanke bezieht sich aber «nur» auf eine gestufte Anwendbarkeit der Regulierungen je nach Grösse und Geschäftsmodell des unterstellten Instituts (Bank, Versicherung) und nicht auf die zu erfassenden Risiken, deren Umschreibung sehr weit ist.

 

Im Rahmen der Risikoidentifikation und der Wesentlichkeitsbeurteilung sind nicht nur die internen Quellen, sondern auch die externen Quellen relevant (Rz 18). Ungeachtet der Kritik in der Vernehmlassung hat die FINMA an diesem Kriterium festgehalten. Konkret bedeutet dies, dass die betroffenen Unternehmen grundsätzlich alle Informationen, die (auch auf elektronischen Medien) verfügbar sind, kennen müss(t)en, um sie in das Management der Risikofaktoren integrieren zu können. Praktisch ist diese weitgehend aktive Informationspflicht kaum vollumfänglich zu erfüllen. Selbst bei einem umfassenden Monitoring sind regelmässig nicht alle (theoretisch) verfügbaren Informationen vorhanden, weshalb jede Wesentlichkeitsbeurteilung mit gewissen Informationslücken behaftet ist.

 

Ähnliche Schwierigkeiten ergeben sich daraus, dass auch indirekte Wirkungen von Naturrisiken (Rz 19) mitzuberücksichtigen sind, selbst wenn deren Realisierung sich erst in der Zukunft zeigen wird. Stresstests, wie sie heute schon zum Einsatz kommen, vermögen aber Einschätzungen über die Zukunft nur schwer einzufangen. Erhebliche Rechtsunsicherheiten sind deshalb in diesem Zusammenhang nicht auszuschliessen.

 

 

4. Handlungsbedarf für betroffene Unternehmen

 

Das neue FINMA-Rundschreiben «Naturbezogene Finanzrisiken» verursacht im Bereich des Risikomanagement eines Unternehmens einen nicht zu unterschätzenden Handlungsbedarf. Im Besonderen sind im Laufe des Jahres 2025 von den betroffenen Unternehmensleitungen folgende Aspekte genauer unter die Lupe zu nehmen:

 

 

 

Auch die Compliance im Unternehmen steht im Lichte der naturbezogenen Finanzrisiken auf dem Prüfstand. Die Bedeutung der neu notwendigen Risikomanagement-Massnahmen ist eine Top-down-Aufgabe, muss also von oben nach unten angeordnet und vorgelebt werden. Eine grössere Bedeutung kommt künftig überdies dem Monitoring zu; Kontrollsysteme sind zu implementieren, welche die Einhaltung der vorgesehen Massnahmen sicherstellen. Schliesslich darf auch die Rolle der Kommunikationspolitik nicht unterschätzt werden, insbesondere für den Fall, dass sich ein negatives Ereignis realisiert und gegenüber der Öffentlichkeit sachgerecht reagiert werden muss.
 

 

[1]     Akute physische Risiken ergeben sich aus Extremereignissen wie Überschwemmungen, Stürmen, Dürren, Lauffeuern, Erdrutschen oder Pandemien.

[2]     Chronische physische Risiken ergeben sich aus dauerhaften Naturveränderungen wie ansteigende Durchschnittstemperaturen, veränderte Niederschlagsmuster, ansteigende Meeresspiegel, Beeinträchtigung der Luft-, Gewässer- oder Bodenqualität, Entwaldung, Artensterben oder Ausbreitung invasiver Arten.

[3]     Transitionsrisiken ergeben sich aus dem Übergang zu einer naturverträglichen Wirtschaft, insbesondere deren Dekarbonisierung, beispielsweise durch Veränderungen in der Klima- und Umweltpolitik, technologische Entwicklungen, Weiterentwicklungen der Rechtsprechung oder Veränderungen im Verhalten von Marktteilnehmenden.

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Weber Rolf
Rolf H. Weber
Rechtsanwalt, Konsulent
Zürich
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