Das neue Energiegesetz sieht für Anlagen zur Nutzung von erneuerbaren Energien, die ab einer bestimmten Grösse und Bedeutung von nationalem Interesse sind, ein konzentriertes und abgekürztes Verfahren vor. Damit stellt sich unweigerlich die Frage, was für Auswirkungen das auf die demokratischen Rechte hat: Bleiben sie gewahrt – oder werden sie über Gebühr eingeschränkt?
1. Ausgangslage
In der Volksabstimmung vom 9. Juni 2024 hat die Schweizer Stimmbevölkerung die Änderung des Energiegesetzes und des Stromversorgungsgesetzes mit einer komfortablen Mehrheit von 68.72 % Ja-Stimmen angenommen. Das in der Vorlage vorgesehene beschleunigte Verfahren für Energieanlagen von nationalem Interesse ist damit demokratisch legitimiert.
Doch was heisst das nun für die demokratische Mitwirkung der (lokalen) Bevölkerung bei grossen Solar- und Windenergieprojekten? Sind auch inskünftig Entscheide möglich wie derjenige der Gemeindeversammlung der Bündner Gemeinde Surses, die am 29. Januar 2024 ein Solar-Grossprojekt abgelehnt hatte? Oder verschwindet durch das neue Energiegesetz die Möglichkeit, auf lokaler Ebene über derartige Projekte zu entscheiden?
2. Grundgedanke der konzentrierten und abgekürzten Verfahren
Die im geltenden Recht angelegten Planungs-, Bewilligungs- und Rechtsmittelverfahren führen oftmals zu starken Verzögerungen von Kraftwerken für erneuerbare Energien, gerade dann, wenn in Teilen davon die Mitwirkung der kommunalen oder kantonalen Stimmbevölkerung vorgesehen ist. Das hemmt den Ausbau der erneuerbaren Energien – und gefährdet letztlich die Energiestrategie 2050 und damit die Dekarbonisierung der Schweiz.
Hier setzt Art. 13 Abs. 3 nEnG an. Demnach kann der Bundesrat, wenn er einer Anlage ein nationales Interesse zuerkennt, beschliessen, dass die notwendigen Bewilligungen in einem konzentrierten und abgekürzten Verfahren erteilt werden. Konkret wird den Standortkantonen von Anlagen mit nationalem Interesse ermöglicht, sämtliche kantonalen und bisher kommunalen Bewilligungen in einem Verfahren zu erteilen. Darüber hinaus wird der Rechtsmittelweg verkürzt und die Beschwerdebefugnis von lokalen und kantonalen Organisationen eingeschränkt.
3. Die demokratische Mitwirkung verschwindet nicht
Dadurch wird fraglos die demokratische Mitwirkung der Bevölkerung beschlagen. Sie wird aber nicht ausgehöhlt. Die Möglichkeit, sich auf lokaler Ebene gegen Projekte zu wehren, verschwindet nicht, wie dies von den Gegnern der Änderung des Energiegesetzes zuweilen vorgebracht wurde.
Ausser bei 15 Speicherwasserkraftwerken und einem bestimmten Wasserkraftwerk bleibt die Hoheit über die Raumplanung bei den Kantonen bestehen, d.h. es braucht auch künftig eine Anpassung der Richt- und Nutzungsplanung, bei der die Stimmbevölkerung involviert ist (siehe dazu Art. 9a Abs. 3 lit. a nStromVG mit Verweis auf Anhang 2). Die für die Planänderungen vorgesehenen demokratischen Mitwirkungsrechte bleiben somit sowohl für grosse Windkraftwerke wie auch für Solarparks bestehen. Ebenso können demokratische Mitwirkungsrechte zum Zuge kommen, wenn es darum geht, öffentlichen Grund und Boden im Baurecht abzugeben oder Dienstbarkeiten darauf zu errichten, wie dies in Surses der Fall war.
Überdies wird die Beschwerdeberechtigung von Standortkantonen und -gemeinden und gesamtschweizerisch tätigen Organisationen nicht angetastet. Und in denjenigen Kantonen und Gemeinden, in denen vorgesehen ist, dass die Stimmbevölkerung bei Konzessionsvergaben konsultiert werden muss, verfügt die Stimmbevölkerung über eine zusätzliche Handhabe, ihre direktdemokratischen Mitwirkungsbefugnisse geltend zu machen – und so gewissermassen über Grossanlagen für Strom aus erneuerbaren Energien zu bestimmen.
4. Fazit
Abschliessend kann festgehalten werden, dass sich auch unter dem revidierten Energiegesetz je nach Kanton und Gemeinde verschiedene direktdemokratische Mitwirkungsrechte der Stimmbevölkerung manifestieren können. Die demokratischen Rechte der Stimmbevölkerung bleiben also grundsätzlich gewahrt. Und so ist nicht ausgeschlossen, dass sich auch unter dem neuen Energiegesetz denkwürdige Vorgänge wie jene der Gemeindeversammlung in Surses wiederholen, als eine kleine Gemeinde ein Grossprojekt für Strom aus erneuerbaren Energien bodigte – und so für nationale Schlagzeilen sorgte.