Mit dem Entscheid 2D_14/2024 vom 19. Mai 2025 (zur Publikation vorgesehen) klärt das Bundesgericht eine zentrale Frage des Vergaberechts betreffend den Rechtsschutz von vergaberechtswidrig (verfrüht) abgeschlossenen Beschaffungsverträgen. Neu müssen sich betroffene Anbieterinnen nicht mehr bloss mit dem teilweise unbefriedigenden Sekundärrechtsschutz (insb. dem Anspruch auf Schadenersatz) zufriedengeben. Vielmehr haben Anbieterinnen Anspruch auf Primärrechtsschutz, welcher bis zur Aufhebung von rechtswidrig abgeschlossenen Beschaffungsverträgen gehen kann.
Im Einzelnen: Die A. AG erhob am 4. September 2023 Beschwerde gegen ihren Ausschluss aus dem Vergabeverfahren sowie den Zuschlag an die Mitanbieterin. Am 8. September 2023 gewährte das Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau beiden Beschwerden superprovisorisch die aufschiebende Wirkung. Die Vergabestelle schloss dabei einen Tag nach Ablauf der Beschwerdefrist und damit in Verletzung der «Standstill»-Regelung (Art. 42 Abs. 1 IVöB bzw. Art. 42 Abs. 2 BöB) den privatrechtlichen Beschaffungsvertrag ab. Dieses vergaberechtswidrige Vorgehen der Vergabestelle erkannte auch das Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau, hielt dabei jedoch fest, dass der unterliegenden Anbieterin einzig die Möglichkeit des Sekundärrechtsschutzes offenstehe und stellte daher die Rechtswidrigkeit der angefochtenen Verfügungen fest (Art. 58 Abs .2 IVöB bzw. Art. 58 Abs. 2 BöB). Das Bundesgericht geht demgegenüber einen Schritt weiter und kommt zum Schluss, dass das Verhalten der Vergabestelle auf dem Wege des Primärrechtschutzes zu sanktionieren sei (E. 5.4.5). Das Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau habe daher – so das Bundesgericht weiter (E. 8.1.) – zu prüfen: «ob es angesichts des vertraglich Vereinbarten möglich und im jetzigen Zeitpunkt noch verhältnismässig erscheint, die Vergabebehörde anzuweisen, den Beschaffungsvertrag unverzüglich aufzulösen bzw. allenfalls sogar rückabzuwickeln.»
Der Bundesgerichtsentscheid zieht klare Konsequenzen nach sich, welche insbesondere für Vergabestellen von zentraler Bedeutung sind. Einerseits wird höchstrichterlich klargestellt, dass die «Standstill»-Regelung» (Art. 42 Abs. 1 IVöB bzw. Art. 42 Abs. 2 BöB) keine blosse Ordnungsvorschrift ist und damit der Vertragsschluss frühestens nach Ablauf der Beschwerdefrist gegen die Zuschlagsverfügung zuzüglich einer Reserve von vier bis fünf Tagen abgeschlossen werden darf; andererseits zieht ein Verstoss gegen ebendiese Vorschrift nun das reale Risiko der Unwirksamkeit des bereits abgeschlossenen Beschaffungsvertrags, der Verzögerung des Beschaffungsprojekts und erheblichen finanzielle Risiken nach sich. Insbesondere in Beschaffungen, in welchen mit den unrechtmässig vergebenden Arbeiten noch nicht begonnen wurde, ist nicht auszuschliessen, dass eine Vergabestelle nach gerichtlicher Anweisung vom Beschaffungsvertrag zurücktreten muss, was insbesondere Schadenersatzansprüche zur Folge haben kann (vgl. Art. 377 OR für den Werkvertrag). Aus Sicht der Anbieterinnen bringt der Entscheid dahingehend eine Erleichterung, als nun Rechtssicherheit besteht, dass die volle Rechtsmittelfrist gegen eine Zuschlagsverfügung ausgeschöpft werden kann. Insofern ist die «verfrühte» Einreichung einer Beschwerde, mit welcher die zeitliche Lücke zwischen Ablauf der Beschwerdefrist und dem Entscheid der Beschwerdeinstanz betreffend aufschiebende Wirkung verhindert werden sollte, nicht mehr zwingend. Ebenso wird der Rechtsschutz gestärkt, womit sich eine unterliegende Anbieterin nicht mehr bloss mit dem Sekundärrechtsschutz zufriedengeben muss, sondern begründete Hoffnung auf den Vertragsschluss haben darf. Nachdem das Bundesgericht jedoch die Frage nach den konkret anzuordnenden Rechtsfolgen offen liess, werden sich Anbieterinnen zukünftig vermehrt mit Fragen rund um die Gestaltung der Rechtsbegehren sowie der Begründung einer Beschwerde konfrontiert sehen.