Kein Anspruch des Geschäftsmieters auf Mietzinsminderung
Die Frage der Risikoverteilung zwischen MieterInnen und VermieterInnen von Geschäftslokalen im Zusammenhang mit den zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie behördlich angeordneten Massnahmen hat die juristische Landschaft seit Pandemieausbruch beschäftigt. Mit dem Urteil des Mietgerichts Zürich MJ210008-L vom 2. August 2021 liegt nun erstmals eine Antwort eines Gerichts auf diese Frage in einem Einzelfall vor.
Dem Urteil lag ein Mietverhältnis über ein Ladenlokal sowie ein Lager in einer Liegenschaft in Zürich zugrunde. Die beklagte Mieterin stellte ihre Mietzinszahlungen für die Monate April und Mai 2020 komplett ein, für die Monate Juni 2020 bis Januar 2021 beglich sie jeweils einen Drittel des vereinbarten Mietzinses. Die Vermieterin klagte daraufhin den offenen Mietzinsausstand ein.
Die Parteien hatten vertraglich keine besonderen Bestimmungen in Bezug auf Pandemien bzw. Epidemien und deren Risikoverteilung festgehalten, weshalb ein Abstellen auf den Mietvertrag keine Abhilfe schuf.
Das Mietgericht verneinte zunächst das Vorliegen einer nachträglichen objektiven unverschuldeten Unmöglichkeit, wonach der Mieter nicht mehr verpflichtet wäre, die vertragliche Leistung zu erbringen (Art. 119 Abs. 1 OR) insb. aufgrund mangelnder Dauerhaftigkeit der behördlich angeordneten Massnahmen (vgl. Ziff. 3 ff.).
Weiter verneinte das Mietgericht einen durch die Vermieterin zu vertretenden Mangel am Mietobjekt, wobei das Mietgericht die Lehrmeinung stützte, wonach in aller Regel die vereinbarte Beschaffenheit des Mietobjekts nur objektbezogene und nicht auch betriebsbezogene Eigenschaften betrifft. Beim Abschluss eines Mietvertrages für einen Geschäftsraum verspreche die Vermieterin dem Mieter, ihm gegen Entgelt Räumlichkeiten zu überlassen, in denen der Mieter seinem Geschäft nachgehen könne – dieses Geschäft sei aber, sofern nicht anders vereinbart, nicht Bestandteil des Mietvertrages, sondern bestehe unabhängig davon und gehöre zur Rechtssphäre des Mieters. Entscheidend sei einzig, ob die überlassenen Räumlichkeiten sachlich für das vertraglich Vereinbarte taugen. Da die Parteien vorliegend vertraglich keine Zusicherungen hinsichtlich des Betriebs vereinbart hatten, taugte das Mietobjekt jederzeit als Ladenlokal und entsprach dem vertraglich Vereinbarten, weshalb das Mietgericht die aufgrund der behördlichen Massnahmen weggefallene bzw. reduzierte Nutzungsmöglichkeit der Risikosphäre der Mieterin zuwies (vgl. Ziff. 4 ff.).
Die Anwendung des ungeschriebenen Rechtsinstituts der clausula rebus sic stantibus verneinte das Mietgericht ebenfalls: Die Beklagte versäumte es, rechtsgenüglich darzulegen, ob und inwiefern sich die behördlichen Massnahmen konkret auf ihren Geschäftsbetrieb ausgewirkt hätten. Für die Feststellung der Schwere einer allfälligen – zur Anwendung des Rechtsinstituts vorausgesetzten – Äquivalenzstörung, wäre dies aber entscheidend gewesen (vgl Ziff. 5 ff.).
Entsprechend obsiegte die Vermieterin gegen den Mieter, der zur Bezahlung der ausstehenden Mietzinse verurteilt wurde. Das erstinstanzliche Urteil des Mietgerichts lässt vermuten, dass es für Mieter von Geschäftsräumen schwierig werden könnte, in Zukunft einen Anspruch auf Mietzinsminderung aufgrund von behördlichen COVID-19-Massnahmen geltend zu machen, sofern keine entsprechenden vertraglichen Bestimmungen in Bezug auf Pandemien bzw. Epidemien und deren Risikoverteilung oder Zusicherungen der Vermieterin hinsichtlich des Betriebs vereinbart wurden.
Für die Mieterschaft besteht indes dennoch Hoffnung: Einerseits handelt es sich bei diesem Urteil «lediglich» um einen erstinstanzlichen Entscheid, der vom Mieter noch angefochten werden könnte. Andererseits sind weitere Entscheide zu erwarten, die sich noch vertiefter mit der Frage der Anwendung der clausula rebus sic stantibus widmen werden. Das Urteil des Zürcher Mietgerichts gibt eine Stossrichtung vor - ob sich diese rechtliche Interpretation der vorliegenden Frage als Gerichtspraxis durchsetzen wird, ist aber noch offen.
Mit Blick auf die vergangenen und den allfälligen, noch unabsehbaren zukünftigen behördlichen Massnahmen empfiehlt es sich also, die vertragliche Beziehung zwischen MieterIn und VermieterIn von Geschäftslokalen vorab spezifisch auf die Frage der Risikoverteilung in Bezug auf die COVID-19-Pandemie zu regeln.