Im Leitentscheid 5A_691/2023 vom 13. August 2024 (zur Publikation vorgesehen) hat das Bundesgericht entschieden, dass Monatsfristen am Tag des fristauslösenden Ereignisses zu laufen beginnen und nicht erst am Folgetag.
Der wichtigste Anwendungsfall dieser neuen Praxis zur Fristenberechnung betrifft die Klagebewilligung nach Art. 209 Abs. 3 ZPO. Die dreimonatige Verwirkungsfrist der Klagebewilligung beginnt nunmehr unmittelbar mit deren Zustellung oder Aushändigung und nicht erst am darauffolgenden Tag zu laufen.
Dem Fall zugrunde lag eine erbrechtliche Streitigkeit. Nach erfolgloser Schlichtungsverhandlung wurde dem Kläger am 26. Januar 2022 die Klagebewilligung zugestellt. In der Folge reichte dieser gestützt auf die Klagebewilligung am 12. Mai 2022 seine Klage beim Bezirksgericht ein. Das erstinstanzlich angerufene Gericht trat mit Beschluss vom 9. Februar 2023 aufgrund zeitlich abgelaufener Klagebewilligung nicht auf die Klage ein. Das Kantonsgericht bestätigte darauf den Nichteintretensentscheid. Es folgte der Auffassung des Bezirksgerichts, wonach die dreimonatige Frist der Klagebewilligung mit dem Tag der Zustellung zu laufen begann. Der Kläger reichte damit die Klage (nach Abzug der Gerichtsferien) um einen Tag verspätet ein. Gegen diesen Entscheid erhob der Kläger Beschwerde vor dem Bundesgericht.
Das Bundesgericht befasst sich vorab mit dem europäischen Übereinkommen über die Berechnung von Fristen (EuFrÜb; Sr. 0.221.122.3). Dieses direkt anwendbare völkerrechtliche Abkommen bezweckt die Vereinheitlichung von Fristen und ist nicht nur im internationalen, sondern auch im innerstaatlichen Verhältnis anzuwenden (E. 4.1). Nach Auslegung dieses Übereinkommens kommt das Bundesgericht zum Schluss, dass beim EuFrÜb der Tag des fristauslösenden Ereignisses mit dem Tag, an dem die Frist zu laufen beginnt zusammenfällt (E. 4.3.1.3), das EuFrÜb aber nicht definiert, welche Umstände oder Ereignisse Fristen auslösen (E. 4.3.2).
Weil der Kläger geltend machte, für die Berechnung von Monatsfristen im Zivilprozessrecht (Art. 142 Abs. 2 ZPO) müsse auf den Beginn des Fristenlaufs nach Art. 142 Abs. 1 ZPO abgestellt werden, musste sich das Bundesgericht in einem zweiten Schritt mit dem Verhältnis dieser beiden Absätze befassen. Die Auslegung dieser Norm und damit die Berechnung von Monatsfristen war aufgrund einzelner Stimmen in der Lehre bisher umstritten (E. 5.4.1).
In einer detaillierten Auslegung der beiden Absätze (E. 5.5 f.) kommt das Bundesgericht schlussendlich zum Ergebnis, dass Art. 142 Abs. 2 ZPO in dem Sinn auszulegen ist, als der «Tag, an dem die Frist zu laufen begann», sich nicht nach Art. 142 Abs. 1 ZPO richtet, sondern auf den Tag des fristauslösenden Ereignisses Bezug nimmt (E. 5.6). Zu diesem Ergebnis gelangt das Bundesgericht unter anderem, indem es auf die Fristenberechnungen des materiellen Zivilrechts verweist, welche ebenfalls auf den Tag des fristauslösenden Ereignisses abstellen (Art. 77 Abs. 1 Ziff. 3 OR; Art. 130 Abs. 1 OR; E. 5.5.4.1.1). Überdies stellt das Bundesgericht fest, dass Sinn und Zweck von Art. 142 Abs. 1 und 2 ZPO darin bestehen, den Betroffenen die Fristen effektiv und vollständig zur Verfügung zu stellen. Art. 142 Abs. 1 ZPO gewährleistet deshalb, dass nur jene Tage gezählt werden, die vollständig verfügbar sind, also solche, die von Mitternacht bis Mitternacht reichen (E. 5.5.3.1). Im Gegensatz zu einer Frist, die nach Tagen bemessen ist, steht eine Frist von einem Monat jedoch vollständig zur Verfügung, wenn bei der Berechnung des Fristenendes der Tag des fristauslösenden Ereignisses berücksichtigt wird. Beginnt die Frist hingegen erst am darauffolgenden Tag, verlängert sich bei Monatsfristen die Frist faktisch um einen zusätzlichen Tag. Diese unterschiedliche Behandlung von Tages- und Monatsfristen würde nicht dem Sinn und Zweck der Norm entsprechen (E. 5.5.3.2). Weiter spricht auch eine Auseinandersetzung mit dem Wortlaut des Vorentwurfs der ZPO gegen eine Kombination der beiden Absätze (E. 5.5.2.2).
Dies führt im Endergebnis dazu, dass die Frist nach Monaten am Tag des fristauslösenden Ereignisses zu laufen beginnt und nicht erst am Folgetag. Vorsichtshalber ist davon auszugehen, dass dieser Entscheid auch auf (von der ZPO nicht ausdrücklich geregelte) Wochen- und Jahresfristen anzuwenden ist. Auf den Lauf und die Berechnung von Tagesfristen (Art. 142 Abs. 1 ZPO) hat der Entscheid jedoch keinen Einfluss.