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öff.-Recht blog: Ausnahmsweiser Verzicht des Bundesgerichts auf das Erfordernis eines aktuellen Interesses

Frehner Norina, in: Bratschi Öff. Verfahrensrecht Blog, 31. Januar 2022

Das Bundesgericht ist auf Beschwerden gegen COVID-19 bedingte Maskentragepflichten eingetreten, obwohl die angefochtenen Erlasse zum Zeitpunkt der Beurteilung bereits ausser Kraft waren.

Zur Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten ist nur berechtigt, wer ein schutzwürdiges Interesse an der Aufhebung oder Änderung des Entscheids oder Erlasses hat (Art. 89 Abs. 1 lit. c BGG). Dies setzt unter anderem voraus, dass der Beschwerdeführende ein aktuelles und praktisches Interesse an der Überprüfung des angefochtenen Entscheids oder Erlasses hat. Es soll nicht die Aufgabe des Bundesgerichts sein, sich zu theoretischen Rechtsfragen äussern zu müssen.

In der Regel fehlt es an einem aktuellen und praktischen Interesse an der Überprüfung des angefochtenen Erlasses, wenn dieser zum Zeitpunkt der Überprüfung durch das Bundesgericht bereits wieder ausser Kraft getreten ist. Die Beschwerde wird in einem solchen Fall als gegenstandslos abgeschrieben.

Ausnahmsweise tritt das Bundesgericht jedoch trotzdem auf Beschwerden von Beschwerdeführenden ein, denen es an einem aktuellen Interesse fehlt. Solche Ausnahmen bestehen in Fällen, in denen sich die mit der Beschwerde gestellten Fragen jederzeit und unter gleichen oder ähnlichen Umständen wieder stellen könnten, an der Beantwortung der Fragen ein öffentliches Interesse besteht und eine rechtzeitige Überprüfung im Einzelfall kaum je möglich ist. Das Bundesgericht kann dabei die Überprüfung auf die Streitfragen beschränken, die sich in Zukunft mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit wieder stellen werden (BGE 131 II 670 E. 1.2).

Solche Ausnahmen wurden bereits in einer Reihe von Konstellationen bejaht, so z.B. im Medizinprodukterecht (BGE 141 II 91 E. 1.3) oder bei einer Liefersperre von Elektrizität (BGE 137 I 120 E. 2.3). Nun stufte das Bundesgericht auch die Anfechtungen von COVID-19-bedingten Maskenpflichten an Primarschulen als Ausnahmefall ein. Es ist auf Beschwerden gegen die vom Regierungsrat des Kantons Bern erlassene Maskenpflicht eingetreten, obwohl die betreffende Verordnung zum Zeitpunkt der Urteilsfällung bereits nicht mehr in Kraft war (Urteil BGer 2C_183/2 vom 23. November 2021, E. 1.2 f., zur Publikation vorgesehen; Urteil BGer 2C_228/2021 vom 23. November 2021, E. 1.2 f.). Das Bundesgericht erwog, dass eine gerichtliche Überprüfung von Erlassen im Zusammenhang mit Massnahmen gegen die Ausbreitung des Coronavirus kaum je rechtzeitig vorgenommen werden könne, da solche Massnahmen einem raschen zeitlichen Wandel unterworfen und i.d.R. zeitlich begrenzt sind. Aus diesem Grund rechtfertige es sich, trotz mangelnden aktuellen Interesses auf die Beschwerden einzutreten.

Autoren

Norina Frehner

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