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öff.-Recht blog: Direktbeschwerde ans Bundesgericht – Verfahrenseffizienz oder unkal-kulierbares Risiko?

Josuran-Binder Anja Martina, in: Bratschi Öff. Verfahrensrecht Blog, 31. Mai 2022

Die Beschwerde an das Bundesgericht ist grundsätzlich nur gegen kantonale Endentscheide zulässig. Als Ausnahme zu diesem Grundsatz der Ausschöpfung des kantonalen Instanzenzugs gemäss Art. 75 BGG lässt es das Bundesgericht jedoch zu, dass eine durch einen vorangehenden Rückweisungsentscheid belastete Verfahrenspartei direkt Beschwerde an das Bundesgericht erheben kann, wenn die neuerliche Erschöpfung des kantonalen Instanzenzugs einem Verfahrensleerlauf gleichkäme (BGE 145 III 42 E. 2.2; bestätigt in Urteil 1C_233/2021 vom 5. April 2022). Ist die Erhebung einer solchen Direktbeschwerde im Sinne der Verfahrenseffizienz ratsam oder stellt sie vielmehr ein unkalkulierbares Risiko dar, vor dem die Rechtsvertretung ihre Klientschaft zu schützen hat?

Es erscheint fraglich, ob die sorgfältig handelnde Rechtsvertretung eine direkte Beschwerdeerhebung beim Bundesgericht überhaupt empfehlen und sich damit die Einschätzung zumuten darf, ob das Bundesgericht die vorgetragenen Rügen als vom kantonalen Verwaltungsgericht abschliessend beurteilt erachtet. Dies ist insbesondere dann problematisch, wenn das Bundesgericht nicht wie im vorliegend besprochenen Verfahren 1C_233/2021 bereits vorab auf die Möglichkeit einer Direktbeschwerde hinweist. Ein gangbarer Weg wäre unter Umständen die parallele Beschwerdeerhebung im Kanton und beim Bundesgericht bei gleichzeitiger Stellung eines Sistierungsantrags im kantonalen Verfahren, bis das Bundesgericht über das Eintreten befunden hat. Dies würde es der betroffenen Partei ermöglichen, bei einem Nichteintretensentscheid des Bundesgerichts trotzdem zunächst das kantonale Verfahren zu durchlaufen, ohne dabei eine Frist verpasst zu haben.

Zum Hintergrund

Das Bundesgericht hat seine in BGE 145 III 42 etablierte Rechtsprechung betreffend die direkte Beschwerdeerhebung beim Bundesgericht jüngst im Urteil 1C_233/2021 vom 5. April 2022 bestätigt. Das Verfahren betraf die Überprüfung eines kommunalen Erlasses: Die Gemeindeversammlung der Einwohnergemeinde Meikirch erliess ein Reglement über die Mehrwertabgabe. Dabei unterstellte sie die Umzonung von unüberbautem Land im Unterschied zur Umzonung von überbautem Land der Mehrwertabgabe. Dagegen erhob ein Einwohner der Gemeinde Beschwerde an das Regierungsstatthalteramt Bern-Mittelland mit der Begründung, dass erstens eine Ungleichbehandlung zwischen überbautem und unüberbautem Land unzulässig sei, und dass zweitens Umzonungen (und Aufzonungen) ohnehin der Mehrwertabgabe unterstellt werden müssten. Das Regierungsstatthalteramt hiess die Beschwerde teilweise gut. Das in der Folge angerufene Verwaltungsgericht hiess die Beschwerde ebenfalls teilweise gut und wies die Sache zurück an die Gemeinde zur Überarbeitung des Reglements im Sinne der Erwägungen. In seinem Rückweisungsentscheid führte das Verwaltungsgericht aus, dass es den Gemeinden nach Art. 142a des Berner Baugesetzes zwar freistehe, auf eine Mehrwertabgabe für Um- und Aufzonungen ganz zu verzichten oder eine Mehrwertabgabe nur für Umzonungen zu erheben, dass aber kein sachlicher Grund ersichtlich sei, bei den Umzonungen zwischen überbautem und unüberbautem Land zu unterscheiden. Auf eine gegen diesen Rückweisungsentscheid erhobene Beschwerde trat das Bundesgericht mit Urteil 1C_195/2020 vom 24. September 2020 nicht ein, da es sich beim verwaltungsgerichtlichen Rückweisungsentscheid um einen Zwischenentscheid handelte, der die Voraussetzungen für die Anfechtbarkeit nach Art. 92 f. BGG nicht erfüllte. Zudem wies es im Nichteintretensentscheid bereits auf die Möglichkeit einer direkten Beschwerdeerhebung beim Bundesgericht im Anschluss an die Anpassung des Reglements hin. Am 25. April 2021 legte der Gemeinderat von Meikirch den Stimmberechtigten den Antrag auf Genehmigung einer Änderung des Mehrwertabgabereglements vor, wonach Umzonungen (und Aufzonungen) generell nicht der Mehrwertabgabe unterstellt sein sollen. Gegen diese neue Bestimmung im Mehrwertabgabereglement erhob der Einwohner der Gemeinde direkt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten beim Bundesgericht mit der Begründung, dass Um- und Aufzonungen nach Massgabe von Art. 5 Abs. 1 RPG generell der Mehrwertabgabepflicht zu unterstellen seien.

Das Bundesgericht hielt in E. 1.2 mit Verweis auf BGE 145 III 42 E. 2.2 fest, dass eine durch einen vorangehenden Rückweisungsentscheid belastete Verfahrenspartei ausnahmsweise direkt Beschwerde ans Bundesgericht erheben kann, wenn die neuerliche Erschöpfung der kantonalen Rechtsmittel einem Verfahrensleerlauf gleichkäme. Diese Möglichkeit steht dann offen, wenn ausschliesslich die bereits im früheren Rückweisungentscheid des Verwaltungsgerichts enthaltenen Erwägungen angefochten werden und eine erneute Beschwerde an das kantonale Verwaltungsgericht daher nutzlos erscheint, weil das Verwaltungsgericht über die Sache bereits abschliessend – und somit für die unteren kantonalen Instanzen bindend – geurteilt hat. Sofern aber in einem bestimmten Punkt, der im direkten Beschwerdeverfahren beim Bundesgericht gerügt wird, das Verwaltungsgericht den unteren kantonalen Instanzen Entscheidungsspielraum überlassen hat, wird im bundesgerichtlichen Verfahren auf diese Rüge mangels Erschöpfung des kantonalen Instanzenzugs nicht eingetreten. Somit trägt die betroffene Partei das mit den entsprechenden Abgrenzungs- und Auslegungsschwierigkeiten verbundene Risiko. Das Bundesgericht erachtet die direkte Beschwerdeerhebung daher auch nicht als zwingend, sondern überlässt es der betroffenen Verfahrenspartei, in Abwägung der entsprechenden Vor- und Nachteile zu entscheiden, ob sie das Risiko einer direkten Beschwerde ans Bundesgericht eingehen möchte (vgl. dazu BGE 145 III 42 E. 2.2.1 f.). Da das Verwaltungsgericht in seinem Rückweisungsentscheid bereits klar festhielt, dass die Gemeinde Um- und Aufzonungen von der Mehrwertabgabe befreien darf, musste der Beschwerdeführer, der dies als bundesrechtswidrig erachtet, diese Rüge nicht nochmals im kantonalen Instanzenzug vortragen. Das Bundesgericht trat entsprechend auf die Beschwerde ein und betrachtete den verwaltungsgerichtlichen Rückweisungsentscheid als mitangefochten. Materiell hiess das Bundesgericht die Beschwerde (teilweise) gut und stellte fest, dass Art. 5 Abs. 1 RPG die Kantone und Gemeinden dazu verpflichtet, auch Um- und Aufzonungen der Mehrwertabgabe zu unterstellen und damit Art. 5 Abs. 1bis RPG, der lediglich die Einzonungen adressiert, nicht als lex specialis zu Art. 5 Abs. 1 RPG gilt.

Autoren

Binder Anja
Anja Martina Josuran-Binder
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Zürich
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