Schadenersatzansprüche scheitern vor Gericht häufig daran, dass die geschädigte Person die volle Beweislast trifft. Sie muss sämtliche Schadenersatzvoraussetzungen beweisen. Dazu zählen der Umstand, dass tatsächlich ein Schaden eingetreten ist (z.B. durch Verminderung des Vermögens oder durch entgangenen Gewinn), und die genaue Höhe dieses Schadens. Wenn Geschäftspartner einen Vertrag abschliessen, können sie diese Schwierigkeiten bis zu einem gewissen Grad entschärfen. Sie können für den Fall einer Vertragsverletzung vereinbaren, dass die vertragsverletzende Partei der anderen eine pauschalisierte Schadenersatzsumme (nicht zu verwechseln mit einer Konventionalstrafe) schuldet.
Das Bundesgericht hatte sich mit einer solchen vertraglich pauschalisierten Schadenersatzpflicht zu befassen. Es hatte zu beurteilen, welche Auswirkungen eine solche vertragliche Abrede auf die Beweislast im gerichtlichen Schadenersatzprozess hat. Die wesentlichen Erkenntnisses des Bundesgerichtsentscheids sind folgende:
Vertragsparteien können die (für einen allfälligen späteren Gerichtsprozess relevante) Beweis- und Behauptungslast grundsätzlich frei regeln.
Es gibt keine allgemeingültige Regel, wie weitreichend die Geschädigte bei Vorliegen einer vertraglich pauschalisierten Schadenersatzpflicht von ihrer Beweislast befreit wird. Vielmehr hängt diese Frage im Einzelfall von der konkreten Ausgestaltung des Vertrags ab.
Dem Entscheid des Bundesgerichts lag folgender Sachverhalt zugrunde: Die Prozessparteien hatten einen Rahmenliefervertrag («master supply agreement») betreffend Hörgerätbatterien abgeschlossen. Dieser Vertrag enthielt eine pauschalisierte Schadenersatzabrede. Demnach sollten der Lieferantin bzw. Verkäuferin (und Geschädigten) unter anderem dann Schadenersatzansprüche zustehen, wenn die Käuferin (und Schadenersatzpflichtige) die Zusicherung verletzt, wonach die Verkäuferin exklusive Lieferantin («exclusive supplier») der Käuferin für solche Hörgerätbatterien sein soll. Später erwarb die Käuferin mehrere Unternehmen, welche ebenfalls Hörgerätbatterien herstellen. Anschliessend entschied sich die Käuferin dazu, die Hörgerätbatterien künftig von diesen neu erworbenen Unternehmen zu beziehen. Daraufhin machte die Verkäuferin eine Verletzung der Exklusivitätsabrede und Schadenersatzansprüche geltend.
Das Handelsgericht des Kantons Zürich hiess die Klage der Verkäuferin teilweise gut und verpflichtete die Käuferin zur einer Schadenersatzzahlung von rund USD 11 Mio. (HGer ZH HG210241-O vom 27. August 2024). Diese gelangte daraufhin ans Bundesgericht.
Zuerst befasste sich das Bundesgericht mit Einwänden betreffend die von der Vorinstanz vorgenommene Vertragsauslegung im Zusammenhang mit der Frage, ob eine Vertragsverletzung vorliegt. Das Bundesgericht stützte die Schlussfolgerung des Handelsgerichts, dass die Käuferin nicht berechtigt war, die Hörgerätbatterien von den neu erworbenen Unternehmen zu beziehen, und sie damit die Exklusivitätsabrede verletzt hatte (E. 3).
Sodann wandte sich das Bundesgericht der pauschalisierten Schadenersatzabrede zu (E. 4). Die Schadenersatzpflichtige hatte in der Beschwerde eingewendet, dass der Schadensnachweis der Geschädigten obliege. Zu diesem Schadensnachweis zähle (i) der Nachweis, dass ein Schaden eingetreten ist, sowie (ii) der Nachweis der Höhe des Schadens. Die Vorinstanz habe zu Unrecht nicht nur bezüglich der Schadenshöhe, sondern auch bezüglich des Schadenseintritts eine Erleichterung des durch die Geschädigte zu erbringenden Beweises angenommen.
Das Bundesgericht analysierte – wie bereits die Vorinstanz – die relevanten streitgegenständlichen Vertragsabreden. Diese lauten: «In the event that Seller alleges that Buyer breaches Section 1.h. [Anm. d. Verf: = die Exklusivitätsabrede], Seller shall so notify Buyer in writing without undue delay (…). If the parties, even after involvement of the toplevel management, do not reach an agreement on the appropriate remedial action within a reasonable period, and if Buyer breaches Section 1.h., Buyer shall pay to Seller the Liquidated Damages [Anm.d.Verf: = pauschalisierter Schadenersatz]. The parties intend that the Liquidated Damages constitute compensation, and not a penalty. The parties acknowledge and agree that Seller's harm caused by such a breach by Buyer would be impossible or very difficult to accurately estimate as of the Effective Date, and that the Liquidated Damages are a reasonable estimate of the anticipated or actual harm that might arise from such a breach. Buyer's payment of the Liquidated Damages is Buyer's sole liability and entire obligation and Seller's exclusive remedy for such breach. (…).» Weiter wurde der pauschalisierte Schadenersatz vertraglich wie folgt definiert: «(…) an amount equal to two (2) times the amount paid by Buyer to Seller in the prior twelve (12) month period provided, that if the Agreement term has not extended for 12 months, the amount shall be equal to the average amount paid by Buyer over the most recent three (3) months period multiplied by 24 (the «Liquidated Damages»).»
Das Bundesgericht hielt fest, dass unter einer Schadenersatzpauschale eine vertragliche Vereinbarung zu verstehen ist, wonach bei Realisierung eines bestimmten Haftungstatbestands ein zuvor von den Parteien festgelegter Betrag als Schadenersatz zu entrichten ist. In der Regel entbindet sie die Geschädigte vom Nachweis des Umfangs des Schadens. Im Unterschied zur Konventionalstrafe ist allerdings vorausgesetzt, dass ein Schaden vorliegt und dieser dem Grundsatz nach feststeht. Wie weitreichend die Beweislasterleichterungen für die Geschädigte im Falle einer solchen Abrede sein sollen, ist in der Literatur umstritten.
Nach Auseinandersetzung mit den verschiedenen Lehrmeinungen kam das Bundesgericht zum Schluss, dass eine vertragliche Schadenersatzpauschale nicht ohne Weiteres dazu führt, dass die Geschädigte vom Nachweis des Schadenseintritts entbunden ist. Es obliegt vielmehr den Parteien, im Rahmen der Vertragsfreiheit die Beweis- und Behauptungslast frei zu regeln. Mit anderen Worten: Es kommt auf die konkrete Ausgestaltung der Vertragsabrede im Einzelfall an, wie weitgehend die Parteien die Geschädigte von ihrer (normalerweise geltenden) Beweislast befreien. Das Bundesgericht stellte jedoch klar, dass der Schadendersatzpflichtigen selbst bei der vertraglichen Befreiung der Geschädigten vom Beweis eines Schadens der Nachweis offen stehen muss, dass kein Schaden vorliegt. Andernfalls handelt es sich nicht um eine Schadenersatzpauschale, sondern um eine (schadensunabhängige) Konventionalstrafe.
Im konkret zu beurteilenden Fall erkannte das Bundesgericht, dass die Parteien die Geschädigte sowohl vom Nachweis der Schadenshöhe als auch vom Nachweis des Schadenseintritts entbinden wollten. Denn gemäss Auslegung der vertraglichen Abrede haben sie den pauschalisierten Schadenersatz nicht nur als Entschädigung für einen geschätzten tatsächlichen (nach Durchlaufen des vertraglichen Eskalationsprozesses bereits eingetretenen) Schaden, sondern auch für einen aus der Vertragsverletzung zu erwartenden (nach Durchlaufen des vertraglichen Eskalationsprozesses noch nicht eingetretenen) Schaden vorgesehen. Weiter hielt das Bundesgericht fest, dass sich aus der Abrede ergebe, dass die Entschädigung einen kompensatorischen und keinen punitiven Charakter haben sollte, weshalb es sich nicht um eine Konventionalstrafe handelt. Da die Schadenersatzpflichtige weder behauptet noch bewiesen hat, dass der Geschädigten kein Schaden entstanden ist, bejahte (auch) das Bundesgericht eine Schadenersatzpflicht.
Hervorzuheben ist, dass das Bundesgericht – unter Bezugnahme auf die Argumentation der Vor-instanz – festhielt, dass die Entbindung der Geschädigten von der Beweislast für die Schadenshöhe bei gleichzeitiger Aufrechterhaltung der Beweislast für den Schadenseintritt kaum Sinn ergeben würde. Denn unter Zugrundelegung der Differenzhypothese ist der Nachweis des Schadenseintritts unmittelbar mit dem Nachweis von dessen Umfang verknüpft. Dieses Argument dürfte künftig bei der Auslegung von Schadenersatzpauschalen bedeutsam sein. Damit solche Auslegungsstreitigkeiten aber gar nicht erst entstehen, empfiehlt es sich, in den Abreden betreffend pauschalisierte Schadenersatzansprüche ausdrücklich festzuhalten, was die Geschädigte im Streitfall (nicht) zu beweisen hat.
Schliesslich ist der Vollständigkeit halber anzumerken, dass im Falle einer Schadenersatzpauschale, welche im Vergleich zum effektiv eingetretenen Schaden unverhältnismässig hoch ist, eine Reduktion in analoger Anwendung von Art. 163 Abs. 3 OR möglich ist (ausdrücklich in BGer 4A_601/2015 vom 19. April 2016 E. 2.3.3; vgl. etwa auch HUGUENIN, Obligationenrecht, Allgemeiner und Besonderer Teil, 3. Auflage, Zürich/Basel/Genf 2019, Rz 1256). Da die Höhe des effektiv eingetretenen Schadens aber nicht bewiesen worden war, befasste sich das Bundesgericht nicht mit der Frage einer allfälligen Reduktion. Die Vorinstanz thematisierte die Möglichkeit einer Herabsetzung noch, verwarf eine solche aber (HGer ZH HG210241-O vom 27. August 2024 E. 2.4.3.3).