Der Ortsbildschutz in der Schweiz wäre primär Aufgabe der Kantone. Jedoch nehmen nicht nur die Kantone und Gemeinden diese Aufgabe wahr, sondern auch der Bund mit dem ISOS. Der Wirkungsbereich des ISOS wurde in den vergangenen Jahren insb. durch das Bundesgericht stark ausgedehnt. Entgegen der ursprünglichen Absicht kann das ISOS sowie die darin enthaltenen Erhaltungsziele nun direkten Einfluss auf private Bauvorhaben der Grundeigentümer haben, ohne dass die damit verbundenen Eigentumsbeschränkungen auf einem korrekten verfassungsmässigen Weg verfügt wurden.
Für den Ortsbildschutz, ein Teil des Natur- und Heimatschutzes, sind in der Schweiz gemäss Art. 78 Abs. 1 BV die Kantone zuständig. Der Bund besitzt nur eine eingeschränkte Kompetenz. Er hat lediglich bei der Erfüllung seiner Aufgaben, auf den Natur- und Heimatschutz Rücksicht zu nehmen und kann die kantonalen Bestrebungen unterstützen. Dennoch hat der Bund zum Schutz der Ortsbilder das Inventar der schützenswerten Ortsbilder der Schweiz von nationaler Bedeutung (kurz ISOS) erstellt. Das ISOS listet gemäss Art. 5 Abs. 1 NHG schutzwürdige Ortsbilder von nationaler Bedeutung auf und hält die entsprechenden Erhaltungsziele fest. Bisweilen sind es schweizweit über 1200 Ortsbilder. Das ISOS stellt ein Fachinventar dar, bei welchem die Kantone zwar angehört werden, ihr Einverständnis bei der Aufnahme ist jedoch nicht erforderlich. Die Grundeigentümer von betroffenen Grundstücken trifft es noch härter. Sie werden weder angehört noch über die Aufnahme im ISOS informiert. Neben dem Bund haben auch Kantone eigenständige Fachinventare für schützenswerte Ortsbilder.
Das ISOS sollte eigentlich nur bei der Erfüllung von Bundesaufgaben für die Kantone seine Wirkung entfalten, da grundsätzlich gemäss Bundesverfassung die Kantone für den Ortsbildschutz zuständig sind. Über Jahre hat das Bundesgericht in seiner Rechtsprechung dem ISOS immer mehr Rechtswirkung verliehen, um dem Ortsbildschutz schweizweit ein einheitliches Niveau zu verschaffen. Nicht nur müssen die Kantone das ISOS bei der Interessenabwägung nach kantonalem Recht beachten, sie müssen seit dem Inkrafttreten (1. Januar 2020) von Art. 4a der Verordnung über das Bundesinventar der schützenswerten Ortsbilder der Schweiz (VISOS) das ISOS nun auch bei ihrer (Richt-)Planung berücksichtigen. Weiter hat das Bundesgericht den Begriff der Bundesaufgaben dahingehend erweitert, dass jede Anwendung einer Rechtsmaterie, welche in die Zuständigkeit des Bundes fällt im Zusammenhang mit privaten Bauvorhaben, auch wenn die Privaten selbst keine Bundesaufgabe erfüllen, die Erfüllung einer Bundesaufgabe darstellt. Darunter fallen namentlich die im Bundesrecht geregelten Spezialbewilligungen, bspw. gewässerschutzrechtliche Ausnahmebewilligungen. Somit werden Privatpersonen bei ihren Bauvorhaben (wie bspw. dem Erstellen von Solaranlagen) zur Einhaltung der im ISOS formulierten Erhaltungsziele verpflichtet. Schwer wiegt dabei, dass gemäss Bundesgericht im Unterschied zu «normalen» Interessenabwägungen eine zweistufige nötig ist: Zunächst muss die Aufgabe als solche einem öffentlichen Interesse von nationaler Bedeutung dienen. Sodann muss feststehen, dass auch das zu beurteilende Einzelprojekt ausreichend zur Verwirklichung dieser Aufgabe beiträgt! Weil in Streitfällen regelmässig ein Gutachten durch eine der der beiden eidg. Kommissionen ENHK oder EKD erstellt wird, und davon gemäss Rechtsprechung nicht ohne triftige Gründe und nur mit stichhaltiger fachlicher Begründung abgewichen werden darf, kommt dem ISOS bzw. dessen Anwendung im Einzelfall durch die Kommissionen faktisch ein gesetzesähnlicher Charakter zu.
Diese Ausweitung der Wirkung des ISOS steht im Widerspruch zur verfassungsmässigen Kompetenzverteilung, der Regelung des Natur- und Heimatschutzes durch die Kantone. Zudem werden nicht nur die Handlungsspielräume von Kantonen und Gemeinden eingeschränkt, andere öffentliche Interessen beeinträchtigt, sondern es werden auch die verfassungsmässigen Eigentumsrechte von Grundeigentümern missachtet. Insbesondere da ein Grundeigentümer, welcher die Auffassung vertritt, dass die Aufnahme des Objekts im ISOS bzw. die darin enthaltenen Schutzziele eine zu starke Einschränkung seines Eigentums seien, den ISOS-Eintrag nicht verhindern oder ändern kann, da das ISOS allein ortsbildschützerische Kriterien genügen muss. Das ISOS wird ohne die Abwägung von entgegenstehenden privaten und öffentlichen Interessen erlassen. Trotz der weitreichenden Wirkung werden die betroffenen Grundeigentümer bei der Inventarisierung nicht angehört, obwohl dies in den kantonalen Unterschutzstellungsverfahren üblich ist. Dies führt dazu, dass die im ISOS enthaltenen Eigentumsbeschränkungen nicht vollumfänglich auf ihre Rechtmässigkeit hin überprüft werden können, was eine klare Verletzung von Art. 29a BV, der Rechtsweggarantie, darstellt. Von den Schutzzielen des ISOS kann in einem Baubewilligungsverfahren nur dann abgewichen werden, wenn andere Interessen von nationaler Bedeutung – wohlgemerkt nicht private Interessen – diesen entgegenstehen. Das ISOS und die definierten Schutzziele für die einzelnen Objekte stellen somit eine Beschränkung der Eigentumsgarantie (Art. 26 BV) der Grundeigentümer dar, ohne dass vorgängig geprüft wurde, ob eine gesetzliche Grundlage vorliegt, die Einschränkung im öffentlichen Interesse liegt und die Einschränkung verhältnismässig ist.
Zusammenfassend ist somit festzuhalten, dass der Ortsbildschutz des Bundes verfassungsmässig nicht abgestützt ist und zu weit geht. Eine Revision der gesetzlichen Bestimmungen bzgl. des Ortsbildschutzes ist dringend angezeigt, welche nicht nur die verfassungsmässige Kompetenzverteilung berücksichtigt, sondern auch die verfassungsmässigen Rechte der Grundeigentümer wahrt.