Die neue Ökodesign-Verordnung der EU bezweckt als Nachfolgerin der früheren Ökodesign-Richtlinie die Verbesserung der Langlebigkeit und Reparaturfähigkeit von Produkten und verfolgt überdies das Ziel, die Verbraucher zu nachhaltigeren Entscheidungen anzuhalten; die Ökodesign-Verordnung kann auch für Schweizer Unternehmen relevant sein.
1. Entstehung und Zielsetzung der Ökodesign-Verordnung
Am 30. März 2022 hat die EU-Kommission als Teil des «European Green Deal» einen Vorschlag für eine neue Ökodesign-Verordnung, welche die bisherige Ökodesign-Richtlinie (2009/125/EG) ersetzen sollte, präsentiert. Im Dezember 2023 haben die EU-Organe in den Trilog-Verhandlungen eine politische Einigung erzielt und im Spätfrühling 2024 kam es dann zur Annahme der Ökodesign-Verordnung (hernach «Verordnung» bzw. VO). Die Veröffentlichung im EU-Amtsblatt erfolgte am 28. Juni 2024; am 18. Juli 2024 ist die neue Verordnung 2024/1781 in Kraft getreten.
Die Verordnung geht bei der Beschreibung der betroffenen Produkte inhaltlich deutlich weiter als die bestehende Ökodesign-Richtlinie; erfasst sind nicht nur wie bisher die energieverbrauchsrelevanten Produkte, sondern (mit wenigen Ausnahmen) alle physischen Waren, welche in der EU in Verkehr gebracht oder in Betrieb genommen werden.
Das Ziel der Verordnung besteht darin, Anforderungen an die ökologische Nachhaltigkeit für fast alle Arten von Gütern festzulegen. Im Sinne eines sinnvollen Recyclingkonzepts, das zur Nachhaltigkeit beiträgt, werden Kriterien für die Dauerhaftigkeit, die Wiederverwendbarkeit und die Reparierbarkeit von Produkten formuliert. Überdies soll die Vernichtung bestimmter unverkaufter Konsumgüter (Schuhe, Textilien) verboten oder zumindest stark eingeschränkt werden. Neu sind auch die Bestimmungen zum digitalen Produktpass, welcher die relevanten Informationen über die Nachhaltigkeit und die Umweltverträglichkeit eines Produkts enthält.
2. Anwendungsbereich der Ökodesign-Verordnung
Der sachliche Anwendungsbereich der Verordnung ist – wie erwähnt – sehr weit und betrifft fast alle physischen Waren, sofern sie nicht ausdrücklich davon ausgenommen sind. Nicht erfasst sind einerseits Bauteile und Zwischenprodukte sowie andererseits «naturnahe» Produkte wie Lebensmittel, Futtermittel, Humanarzneien, lebende Pflanzen, Tiere und Mikroorganismen, Erzeugnisse menschlichen Ursprungs sowie Fahrzeuge (wegen der Sonderregulierungen, die bereits bestehen).
Der persönliche Anwendungsbereich der Verordnung bezieht sich auf die ausdrücklich erwähnten «Wirtschaftsteilnehmer» (detailliert aufgelistet und umschrieben in Art. 27-33 VO). Erfasst sind die Hersteller von Produkten, die Bevollmächtigten, die Importeure, die Vertreiber, die Händler, und die sog. «Fulfilment-Dienstleister» (z.B. Unternehmen für Lagerhaltung, Verpackung, Adressierung, Versand von Produkten). Schweizer Unternehmen sind zwar von der Verordnung mangels Sitzes in der EU nicht direkt betroffen; weil aber Art. 2 Abs. 1 Nr. 42 VO den Begriff des Herstellers weit umschreibt als «Person, die ein Produkt herstellt bzw. entwickeln oder herstellen lässt und dieses unter ihrem eigenen Namen oder ihrer eigenen Marke vermarktet», ist von der Anwendbarkeit der Verordnung auszugehen, wenn ein Schweizer Markenprodukt in der EU vertrieben wird. Entsprechende Anforderungen wird auch ein Importeur stellen, wenn er ein Produkt aus einem Drittstaat in der EU in Verkehr bringt (Art. 2 Abs. 1 Nr. 44 VO). Im grenzüberschreitenden Verkehr haben Schweizer Unternehmen dementsprechend künftig die Anforderungen der Ökodesign-Verordnung zu beachten.
Mit Blick auf den zeitlichen Anwendungsbereich der Verordnung ist zu beachten, dass die EU-Kommission in Kürze einen Arbeitsplan zu veröffentlichen beabsichtigt, der alle Produktgruppen auflistet, die in den nächsten Jahren durch produktspezifische Regelungen konkretisiert werden sollen. Überdies legt Art. 79 VO fest, dass bestimmte Vorschriften der (alten) Ökodesign-Richtlinie bis Ende 2026 bzw. bis Ende 2030 weiter gelten, um einen reibungslosen Übergang zum neuen Recht sicherstellen zu können. Vermutlich werden die ersten spezifischen Produktregelungen auf Ende 2025 in Kraft treten, doch bedarf es spezifischer Abklärungen, um das Inkrafttreten der neuen Regeln rechtssicher festzustellen. Für Schweizer Unternehmen ist es ebenfalls unumgänglich (wenn zwar tatsächlich etwas umständlich), die weiteren Konkretisierungen in der EU zu verfolgen, um die Anwendbarkeit der Verordnung auf die betroffenen Produkte zu beurteilen; ggf. wird aber der EU-Importeur beratend unterstützen können.
3. Leistungs- und Informations-Anforderungen
Eine Besonderheit der neuen Verordnung liegt gesetzestechnisch darin, dass nicht verbindliche Ökodesign-Anforderungen festgelegt werden, sondern eingeführt wird «nur» der rechtliche Rahmen für die Festlegung solcher Anforderungen. Die Konkretisierungen an die Ökodesign-Anforderungen erfolgen in sog. «Delegierten Rechtsakten», die noch zu verabschieden sind. Die Produktrechtsakte sollen grundsätzlich nur Sicherheitsziele oder andere wesentliche Voraussetzungen formulieren, die durch technische Spezifikationen – oft von Europäischen Normorganisationen erarbeitete harmonisierte Normen – konkretisiert werden. Bei Produkten, deren Herstellung auf harmonisierten Normen beruht, ist davon auszugehen, dass eine Konformitätsvermutung vorliegt, entsprechend dem James-Elliott-Urteil des EuGH, der feststellte, dass harmonisierte Normen Bestandteil des EU-Rechts sind (EuGH, 27.10.2016 – C-613/14).
Die delegierten Rechtsakte werden verbindliche Leistungs- und Informationsanforderungen festlegen; Art. 5 Abs. 1 VO nennt aber bereits relevante Produktaspekte wie:
Die Leistungsanforderungen sind umschrieben als quantitative oder nicht quantitative Anforderungen an oder in Bezug auf ein Produkt zur Erreichung eines bestimmten Leistungsniveaus mit Blick auf regulierte Produktparameter. Die Leistungsanforderungen können eines oder beide der folgenden Elemente enthalten (Art. 6 Abs. 2 VO):
Die Vorschriften über Informationsanforderungen betreffen folgende Aspekte (Art. 7 VO):
Diese Informationen sind insbesondere mit Blick auf den nachfolgend zu erläuternden digitalen Produktpass von Bedeutung.
Die Ökodesign-Verordnung enthält auch viele Bestimmungen, welche das Verhältnis zu anderen EU-Rechtsakten regeln, sowie Anordnungen zu den stoffrechtlichen Anforderungen und deren Umsetzung im Unternehmen, zu den industriellen Selbstverpflichtungen sowie zu den durch Ökodesign-Anforderungen geprägte Vernichtungsverbote, die vorliegend im Einzelnen nicht vorzustellen sind.
4. Digitaler Produktpass
Der digitale Produktpass ist eine legislatorische Neuerung, die im Zeitalter sich stark entwickelnder Technologien von grosser Bedeutung ist. Die Verordnung legt die Anforderungen an den Datenträger und die Gestaltung des Produktpasses sowie die inhaltlichen Daten- und Data-Governance-Erfordernisse fest. Zudem sind die Zugangsrechte und die Datenschutz-/IT-Sicherheitsmassnahmen geregelt. Die entsprechenden Vorgaben (Art. 9-11 VO) stellen nicht eine genuine Aufgabe des Ökodesign-Rechts dar, sondern sie sind schon bekannt aus der heutigen Welt der Datenwirtschaft.
Als produktspezifische Informationen (im Wesentlichen spezifiziert in Anhang III zur VO), die selbstredend von der betroffenen Produktgruppe abhängen, aber in der Regel im digitalen Produktpass zu vermerken sind, fallen in Betracht:
Die Schaffung von Data-Governance-Strukturen kann für einzelne Unternehmen ungeachtet der heute schon bestehenden Voraussetzungen mit Herausforderungen verbunden sein. Um für den digitalen Produktpass vorbereitet zu sein, erscheint es für Unternehmen deshalb als sinnvoll, die IT-Umgebung bereits im Laufe der nächsten Monate mit Blick auf die Ökodesign-Verordnung anzupassen (Datenprotokolle, Zugangsrechte, Interoperabilität, Datenverwahrung, Datenbearbeitung, Datensicherheit).
Zusätzlich sieht Art. 13 VO die Einführung eines digitalen Produktpassregisters vor, das bis zum 19. Juli 2026 von der EU-Kommission zu erstellen ist. Ergänzt werden muss dieses Register durch ein Webportal, das die Suche nach Informationen in den jeweiligen digitalen Produktpässen erleichtert (Art. 14 VO).
5. Ausblick
Das neue Ökodesign-Recht wird angesichts des breiten Anwendungsbereichs und der erhöhten Sensibilität für Nachhaltigkeitsthemen die Compliance-Anforderungen in den Unternehmen nicht unwesentlich erhöhen. Diese Einschätzung gilt auch für Schweizer Unternehmen, die grenzüberschreitend physische Produkte in der EU vertreiben. Sowohl mit Blick auf die Erfassung der ggf. betroffenen Produkte als auch mit Blick auf die Leistungs- und Informationsanforderungen, die sich hernach im digitalen Produktpass widerspiegeln, besteht ein gewisser Handlungsbedarf bereits in näherer Zukunft.