Mit zunehmendem Ausbau der Photovoltaik steigt auch die maximale Leistung, die an sonnigen Spitzentagen ins Stromnetz eingespeist wird. Diese grosse Menge an Solarstrom bringt das Verteilnetz an den Anschlag. Ein Ausbau der Verteilnetzes, um sämtlichen Solarstrom an den Produktionsspitzen abtransportieren zu können, würde einen massiven Netzausbau mit enormen Kosten zur Folge haben. Der Nutzen eines solchen Stroms wäre dagegen minim, zumal er im Sommer kaum Abnehmer finden würde. Vor diesem Hintergrund ist es zentral, dass das im Bundesgesetz über eine sichere Stromversorgung mit erneuerbaren Energien verankerte Ausbauziel volkswirtschaftlich sinnvoll umgesetzt wird – rechtliche Grundlagen für entsprechende Massnahmen sind jedenfalls vorhanden.
1. Nutzung von Flexibilitäten zur Dezentralisierung des Stromsystems
Das Bundesgesetz über eine sichere Stromversorgung mit erneuerbaren Energien soll auf den 1. Januar 2025 in Kraft gesetzt werden. Die Vorlage enthält unter anderem Massnahmen, um den Strom sicher und effizient ins Stromnetz zu integrieren, sodass die Stromnetze weniger stark ausgebaut werden müssen. Es geht dabei um Nutzung von Flexibilität, welche als variable Einspeiseleistung oder verbrauchsseitige Steuerung erfolgt.
Flexibilität wird in diesem Zusammenhang als ein Gut definiert, das durch die Steuerbarkeit von Strombezug, -speicherung oder -einspeisung nutzbar wird. Sie ist nicht mit intelligenten Steuer- und Regelsystemen zu verwechseln, die lediglich die technische Grundlage für die Nutzung der Flexibilität bieten (vgl. Art. 17b StromVG). Die Endverbraucher, die Erzeuger und die Speicherbetreiber sind die Inhaber der Flexibilität (Flexibilitätsinhaber), die sich dank der Steuerbarkeit des Bezugs, der Speicherung oder der Einspeisung von Elektrizität nutzen lässt.
Wenn Dritte, auch Verteilnetzbetreiber, die Flexibilitäten nutzen wollen, müssen sie sich diese grundsätzlich vertraglich sichern (vgl. Art. 17c Abs. 1 nStromVG). Netzbetreiber sollen Flexibilität nutzen, um teure Netzausbaumassnahmen zu vermeiden. Laut dem NOVA-Prinzip wird zuerst der bestehende Netzbetrieb optimiert, dann Leitungen verstärkt und erst als letzte Option das Netz ausgebaut (Art. 9b Abs. 2 nStomVG).
2. Verbrauchsseitige und erzeugungsseitige Flexibilität
Verbrauchsseitige Flexibilität ist künftig beispielsweise durch reduzierte Netznutzungsentgelte möglich. Dynamische Stromtarife – wobei hierfür Smart Meter vorausgesetzt sind – geben einen Anreiz, Strom nicht dann zu verbrauchen, wenn das Netz bereits stark ausgelastet ist (vgl. Art. 14 Abs. 3 lit. a nStromVG). Im Bereich der erzeugungsseitigen Flexibilität sollen die Verteilnetzbetreiber limitierte pauschale Möglichkeiten der Abregelung von Einspeisungen erhalten (Art. 17c Abs. 4 lit. a neuStromVG). Es handelt sich hierbei um ein den Verteilnetzbetreibern garantierter Flexibilitätszugriff. So kann bei einer Photovoltaikanlage durch gezielte Reduzierung oder «Drosselung» der Einspeiseleistung der Netzbetreiber Engpässe in Leitungen oder Transformatoren vermeiden und den Netzausbau optimieren. Das Drosseln reduziert nur minimal die Menge des nicht eingespeisten Stroms, hat jedoch einen grossen positiven Effekt auf das Netz.
3. Abregelung der Leistung von Photovoltaikanlagen oder Anreizsystem
Die Regelung der Einzelheiten mit Bezug auf die soeben erwähnte Abregelung eines bestimmten Anteils der Einspeisung am Anschlusspunkt bzw. Inanspruchnahme von garantierten Flexibilitätsnutzungen soll in einem neuen Art. 19d der Stromversorgungverordnung erfolgen. Der Umfang der Garantie soll gemäss bundesrätlichem Vorschlag auf einen Höchstanteil von 3 Prozent der durch die Anlage jährlich produzierten Energie beschränkt sein. Ob dieser Fokus auf der Menge der eingespeisten Energie über das ganze Jahr hinweg praktikabel ist, ist indes zu bezweifeln, zumal für die Dimensionierung und den Ausbau des Verteilnetzes die Leistung am Netzanschlusspunkt und nicht die produzierte bzw. eingespeiste Energie massgebend ist.
Im Vernehmlassungsverfahren kam denn auch die (nachvollziehbare) Forderung auf, die Netzeinspeisung von Photovoltaikanlagen auf 70 Prozent der installierten Leistung zu limitieren (vgl. Vernehmlassung der BKW Energie AG vom 3. Mai 2024 und Vernehmlassung des VSE vom 28. Mai 2024, abrufbar auf den jeweiligen Internetseiten). Jedenfalls dürfte die Inanspruchnahme von garantierten Flexibilitätsnutzungen in der Form der Abregelung der Leistung von Photovoltaikanlagen einen wichtigen Beitrag zu weniger Netzausbau darstellen.
Eine andere Möglichkeit ist das Vorgehen über ein tarifliches Anreizsystem. In diesem Sinne führte die Genossenschaft Elektra Jegenstorf als wohl erster Energieversorger in der Schweiz die freiwillige Begrenzung der Solarstromeinspeisung ein. Mit dem Angebot «TOP-40» erhalten Produzenten eine höhere Vergütung für ihren Solarstrom, wenn sie sich verpflichten, Produktionsspitzen selbst vor Ort zu verbrauchen. Konkret verpflichten sich Betreiber, maximal 60% ihrer PV-Leistung ins Netz einzuspeisen, was rund 6% weniger Strom pro Jahr bedeutet. Im Gegenzug erhalten sie 8% mehr Vergütung und können den nicht eingespeisten Strom selbst nutzen, etwa für Heizung oder E-Fahrzeuge.
4. Fazit
Der Ausbau mit erneuerbaren Energien muss und kann gestützt auf das Bundesgesetz über eine sichere Stromversorgung volkswirtschaftlich sinnvoll umgesetzt werden. Netzseitig dürfte die Inanspruchnahme von garantierten Flexibilitätsnutzungen in der Form der Abregelung der Leistung von Photovoltaikanlagen in Kombination mit einem gezielten Anreizsystem einen wichtigen Beitrag zu weniger Netzausbau darstellen. Dies trägt nicht nur zur Netzstabilität bei, sondern stellt auch eine kosteneffiziente Lösung dar, die den Betrieb von Photovoltaikanlagen optimiert, ohne signifikanten Verlust an eingespeister Energie.