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Nachhaltigkeitsbezogene Sorgfaltspflichten kommen!

Weber Rolf H., in: bratschiLETTER Compliance April 2024

Nach langen «Geburtswehen» haben sich die ständigen EU-Vertreter am 15. März 2024 auf einen (abgeschwächten) Text einer Richtlinie zu nachhaltigkeitsbezogenen Sorgfaltspflichten von Unternehmen («Corporate Sustainability Due Diligence Directive [CSDDD]») geeinigt; sofern das Europäische Parlament ebenfalls zustimmt, gelten nach deren Inkrafttreten rechtsverbindliche unternehmerische Sorgfaltspflichten.

1. Entstehungsgeschichte

 

Im März 2022 hat die Europäische Kommission den Vorschlag für die CSDDD als Teil der «Sustainable Corporate Governance Initiative» den zuständigen EU-Organen unterbreitet. Der Vorschlag hat sich am Konzept der UNO-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte sowie vor allem an der risiko-basierten Sorgfaltsprüfung der OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, deren Revision mit einer Verstärkung des «Responsible Business Conduct» im Juni 2023 erfolgreich abgeschlossen worden ist, orientiert. Die Kommission beabsichtigte, den Übergang von freiwilligen zu rechtsverbindlichen unternehmerischen Sorgfaltspflichten zu vollziehen und gleichzeitig Mindeststandards zwecks Vermeidung einer regulatorischen Fragmentierung in der EU einzuführen. Geschäftsmodelle und -strategien sollten mit den internationalen Vorgaben im Klimabereich auf der vorgelagerten und der nachgelagerten Lieferkette vereinbar sein.

 

Der Widerstand aus Wirtschaftskreisen, der weniger im Europäischen Parlament als im Rat zum Ausdruck kam, war recht gross. Unter Eingehung verschiedener Kompromisse ist am 14. Dezember 2023 nach zähem Ringen in den sog. Trilog-Verhandlungen eine politische Einigung zwischen Rat und Parlament erzielt worden, die vom Parlament am 30. Januar 2024 genehmigt wurde. Eher ungewöhnlich hat hernach die deutsche Liberale Partei der Ampelkoalition ab Januar 2024 zusätzliche weitreichende Einwände gegen das Ergebnis des Trilogs erhoben. Auch andere Länder sind in der Folge auf ihre frühere Zustimmung (teilweise) zurückgekommen. Nach verschiedenen Verhandlungsrunden gelang es der belgischen Präsidentschaft, am 15. März 2024 einen mehrheitsfähigen Kompromiss vorzulegen, der vom Parlament noch genehmigt werden muss.

 

2. Anwendungsbereich der Richtlinie

 

Nach dem ursprünglichen Vorschlag der Kommission hätte die CSDDD auf grosse Unternehmen mit mehr als 500 Mitarbeitenden und einem jährlichen Nettoumsatz von mind. EUR 150 Mio. weltweit zur Anwendung kommen sollen. Die verschiedenen Verhandlungsrunden haben zu einer Erhöhung der Schwellenwerte geführt, in der neuen Fassung von Mitte März 2024 auf 1000 Mitarbeitende und einen Jahresumsatz von mind. EUR 450 Mio. Zudem haben sich die Vertreter der Mitgliedstaaten auf längere Übergangszeiten geeinigt, und zwar wie folgt: 

Umsetzung der CSDDD-Vorgaben (i) nach drei Jahren für Unternehmen mit mehr als 5000 Mitarbeitenden und mind. EUR 1500 Mio. Umsatz bzw. (ii) nach vier Jahren für Unternehmen mit mehr als 3000 Mitarbeitenden und mind. EUR 900 Mio. Umsatz bzw. (iii) nach fünf Jahren für Unternehmen mit mehr als 1000 Mitarbeitenden und mind. EUR 300 Mio. Umsatz. Die reale Anwendung der Sorgfaltspflichten lässt somit noch einige Zeit auf sich warten.

 

Auch sonst ist der Anwendungsbereich der Richtlinie nicht ganz umfassend. Die tieferen Schwellenwerte für sog. «Hochrisiko-Sektoren» sind ganz entfallen, eine Sonderbehandlung solcher Unternehmen ist nicht mehr vorgesehen. Der Finanzsektor ist vorerst «nur» zur Einhaltung von Sorgfaltspflichten in der «upstream» Lieferkette im Lichte der revidierten OECD-Leitsätze verpflichtet (Erw. 36a der Richtlinie), doch wird die Kommission beauftragt, spätestens zwei Jahre nach dem Inkrafttreten der Richtline dem Parlament einen Bericht über mögliche Erweiterungen der Sorgfaltspflichten im Finanzsektor zu unterbreiten (Art. 29 der Richtlinie).

 

Die Richtlinie findet auch auf Unternehmen ausserhalb der EU (d.h. Schweizer Unternehmen) grundsätzlich uneingeschränkt Anwendung, wenn sie – ungeachtet der Zahl der Mitarbeitenden – betraglich einen entsprechenden jährlichen Nettoumsatz von EUR 450 Mio. in der EU erwirtschaften oder wenn sie im Rahmen eines Konzernverhältnisses gewisse, im Einzelfall recht kompliziert zu eruierende Schwellenwerte überschreiten. Die Kommission wird eine Liste mit den betroffenen Unternehmen publizieren. 

 

3. Inhalt der Richtlinie

 

Die CSDDD führt Sorgfaltspflichten von Unternehmen für die vorgelagerte Lieferkette («upstream») und die nachgelagerte Lieferkette («downstream») ein; diese Sorgfaltspflichten sind in allen Geschäftsbereichen zu beachten. Demgegenüber kennt die Schweiz bisher Sorgfaltspflichten «nur» in zwei Konstellationen, nämlich (i) bei Geschäften mit Edelmetallen und Rohmaterialien sowie (ii) für Lieferketten mit nachweislichen Risiken für Kinderarbeit (Art. 964j OR). Der Kompromiss-Text der Richtlinie hat die Sorgfaltspflichten aber eingeschränkt, insbesondere im Falle langer Lieferketten ausserhalb eines Konzernverhältnisses. Allgemeine negative Auswirkungen auf Menschenrechte und Umwelt sind zu vermeiden (Art. 7 der Richtlinie) und bei deren Auftreten ist dem Lieferanten eine Übergangsfrist zur Behebung der «Mängel» anzusetzen (Art. 8 der Richtlinie). Die Implementierung konkreter Massnahmen ist erforderlich, wenn das EU-Unternehmen in einer direkten Verantwortung steht.

 

Die Sorgfaltspflichten nicht einhaltende Unternehmen können mit Bussen bis zu 5% des weltweiten Umsatzes bestraft werden (Art. 20 der Richtlinie). Zudem sind Unternehmen für eingetretene Schäden zivilrechtlich verantwortlich (Art. 22 der Richtlinie). Hingegen wurde die Bestimmung zur Haftung der Gesellschaftsorgane selber (Art. 25 des Entwurfs) ganz gestrichen. Die individuelle Haftung für eine Sorgfaltspflichtverletzung wird sich deshalb nach dem nationalen Recht richten; der deutsche Widerstand gegen die CSDDD ist so betrachtet umso erstaunlicher, als das nationale Lieferkettensorgfaltsgesetz strengere Vorschriften enthält!

 

Die Unternehmen sind verpflichtet, durch einen sog. «Transitionsplan» sicherzustellen, dass ihr Geschäftsmodell und die Strategie des Unternehmens mit den Zielen des Pariser Klimaabkommens in Einklang stehen. Mit Bezug auf diesen Plan wird nicht eine strikte Due Diligence, sondern ein «best effort»-Vorgehen verlangt, was – entsprechend der Verordnung über Sorgfaltspflichten und Transparenz in der Schweiz (VSoTr) – einer «obligation de moyens», nicht einer «obligation de résultat» entspricht.

 

4. Auswirkungen auf die Schweiz

 

Sehr grosse Unternehmen, welche im EU-Raum tätig sind, werden bei Erreichen der genannten Schwellenwerte für ihre EU-Tätigkeiten die Vorgaben der Richtlinie bzw. deren Umsetzung in das jeweilige nationale Recht zu beachten haben. Die Zahl solcher Unternehmen dürfte aber nicht allzu gross sein.

 

De Bundesrat hat erklärt, nach Verabschiedung der CSDDD einen Vorschlag für eine Anpassung des Schweizer Rechts, welches den EU-Vorgaben folgen soll, zu unterbreiten. Demgemäss wird sich der Bundesrat nun mit der Umsetzung seines Versprechens beschäftigen müssen. Zu erwarten ist insbesondere, dass die heute schon mit Blick auf die Kinderarbeit geltenden Sorgfaltspflichten auf weitere Geschäftsbereiche ausgedehnt werden.

 

Für die von der CSDDD erfassten Unternehmen dürfte es angesichts der neu eingeführten Sorgfaltspflichten empfehlenswert sein, von der in der VSoTr ausdrücklich vorgesehenen «Ausnahme» Gebrauch zu machen und integral internationale Standards zur Anwendung zu bringen, wie dies als Option vorgesehen ist. Für die KMU stellt sich (wie schon heute nach den seit dem 1. Januar 2022 geltenden Vorschriften zu den Schweizer Sorgfaltspflichten) das Problem, wie weit ihnen von Unternehmen, die der CSDDD unterstehen, vertraglich die entsprechenden Sorgfaltspflichten «überwälzt» werden, obwohl sie selber dem Anwendungsbereich der Richtlinie nicht unterworfen sind; im Falle einer erheblichen «Abhängigkeit» sind also auch Schweizer KMU in einigen Jahren mit dem neuen EU-Recht konfrontiert.

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Auteurs

Weber Rolf
Rolf H. Weber
Avocat, Consultant
Zurich
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